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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Tataren vereint ist kein Jude seines Lebens sicher, wenn sie ihn irgendwo antreffen; es gilt unserer gänzlichen Vernichtung. — — Lasst uns an Gott denken, zu ihm unsere Blicke richten; er wird das in Strömen vergossene Blut seines Volkes, seiner Frommen und Gesetzlehrer rächen, die als Blutzeugen ihres Glaubens ihr Leben hingegeben. Das Jahr 1648 war ein grosser Opfertag, wo nicht die Priester die Opfernden waren, sondern an welchem man die Priester, Leviten und Israeliten geopfert. Das Jahr 1649 ist das Jahr der grossen Glaubenshelden und Blutzeugen; in demselben am 7. Monate waren die grossen Niedermetzelungen durch vereinte Banden von Tataren und Kosaken. Ich glaubte, dass dies Jahr 1649 schon ein Jahr der Ruhe sein wird, aber es war trauriger als sein Vorgänger. Unvergesslich sind uns diese beiden Jahre, in welchen wir so tief alle Strafgerichte Gottes empfunden. —

3. Das russische Weihnachtsfest.
(Beschluss zu S. 29.)

 Nun brachte eine der älteren Kindsfrauen im Hause den Mädchen festliche Spiele in Vorschlag; allein sie fanden in der Regel nur geringe Theilnahme, denn die Mädchen hatten jetzt ganz andere Dinge im Sinne, welche ihre ganze gespannteste Erwartung in Anspruch nahmen. Es nahte die Zeit heran, wo sie neue Genossen und Führer bei ihren Spielen bekommen sollten. Der verhängnissvolle Augenblick erschien, die Flügelthüren wurden angelweit aufgerissen und herein trat ein langer Zug von jungen Männern, den Brüdern und nächsten Anverwandten der anwesenden jungen Mädchen; dieses waren die „Erwählten.“ Der Hausvater und die Hausmutter führten die „Erwählten“ den Mädchen zu und übergaben diese gleichsam den Händen jener. Es war ein höchst interessantes Schauspiel, die mannigfaltigen Regungen des Herzens bei allen diesen Ueberraschungen, getäuschten Erwartungen und erfüllten Hoffnungen von den Gesichtern der jungen Leute zu lesen; ein Schauspiel, wie man es anders in dieser Weise der Sitte gemäss das ganze Jahr hindurch nie wieder zu Gesichte bekam. Nach dieser Ceremonie fingen sogleich die Spiele an. Unter die wichtigsten Spiele gehörte das „Sižu-posižu“ (Ich sitze — bleibe einen Augenblick sitzen“); denn in diesem Spiele kamen die Mädchen oft auf den Knieen der Brüder (natürlich nicht ihrer leiblichen Brüder) zu sitzen. Ebenso das „Koza i slepoj Kozel“ (die Ziege und der blinde Bock), wo der blinde Bock (ein Bruder) seine sehende Ziege in einem von den jungen Leuten in bunter Ordnung geschlossenen Kreise suchen musste; ein Spiel, welches häufig Gelegenheit bot, die jungen Leute einander näher zu bringen, als es sonst geschehen durfte.

 Nach Beendigung dieser gemeinschaftlichen Spiele empfahlen sich die Brüder bei den Schwestern und entfernten sich. Einige Mädchen fingen nun an Räthsel aufzugeben und andre lösten sie auf; dieses Spiel wurde allmählig immer lebhafter und interessanter und man setzte es nicht selten bis zum Abend fort. Diese volksthümlichen Räthsel kamen nur in dieser Zeit zur Sprache, sonst hörte man das ganze Jahr nichts von ihnen. Unterdessen erzählten die älteren Frauen aus der Gesellschaft alle Mährchen und Schilderungen der Lebensweise im alten Russland. Diese Erzählungen sind an sich ungemein wichtig, mehr als man vermuthet. Aber man muss Russe sein, man muss die alte Sitte achten und von Herzen lieben, um ihren ganzen Werth schätzen, um die ganze Würde derselben fühlen zn können. Die Berichte der Fremden über das russische Alterthum sind über alle Massen erbärmlich und nichtig im Vergleich zu den Erinnerungen des russischen Volkes selbst. „Wer ein einziges Mal den Swjatki als aufmerksamer Beobachter zugegen war“, sagt der Fürst Sacharow, „der wird niemals wieder Glauben schenken den Beschreibungen, welche uns fremde Schriftsteller von ihnen geben; er wird fest überzeugt sein, dass man nur an den Swjatki Aug’ in Auge

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/121&oldid=- (Version vom 28.9.2019)