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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

befreien wollte, kann auf die Länge ohne Nachtheil für das Land und die einzelnen Klassen, welcher Ordnung sie immer angehören mögen, nicht fortdauern. Dass diese lebensbedingenden Vortheile nicht mit der Verfassung wesentlichen Rechten erkauft werden dürfen, wird als eine conditio sine qua non vorausgesetzt. Diese Vortheile nicht in dem Verband mit der Gesammtmonarchie durch ein wechselseitiges Handels- und Zollsystem zu suchen, sondern auch hier mit übelverstandenem Ehrgeiz durch Verknüpfungen mit fremden Staaten zunächst und unmittelbar dieser dringenden Forderung des Landeswohles abhelfen zu wollen, verriethe offenbar, dass man weder das unabänderliche Verhältniss Ungarns zur Monarchie, noch die daraus für das Land hervorgehenden, unschätzbaren Vortheile, mit Ausnahme des handgreiflichen Falles eines Krieges, begreife oder begreifen wolle. Der Nachtheil solcher falscher Bestrebungen wäre nicht nur zunächst, dass das wirklich erreichbare Gute darüber verabsäumt würde, sondern auch, dass die Regierung, so lange sie währen, sich genöthigt sehen wird, die ihr durch die Wahrung der Gesammtinteressen gebotne Stellung diesen durchaus verderblichen Anmassungen gegenüber zu behaupten.

 Aus dem bisher Gesagten geht klar hervor, dass die politische Bewegung sich beinahe ausschliesslich auf die privilegirten Stände beschränkt, dass diese Bewegung mit dem Interesse des hohen Adels und des Klerus nicht Hand in Hand geht, dass der niedere Adel als Werkzeug von den Parteien gebraucht wird, und wo und wiefern er aus sich selbstständig handelnd auftritt, unverrückt für die hergebrachten Zustände kämpft; dass es ferner nur der mittlere Adel ist, der durch ein lebendiges Interesse - Gewinn an Macht, Ansehn und Einfluss, Verbesserung seiner Vermögensumstände - getrieben wird. Ohne Rückhalt jedoch im untern Adel, ohne Druck von aussen durch den Bauern- und Bürgerstand, rüttelt er ohnmächtig an dem Bestehenden. Dass es übrigens so und nicht anders ist, darf niemanden wundern. Ein so langes Stillstehen auf der Bahn der Volksentwickelung erklärt es hinlänglich, wenn jetzt, wo wir mit plötzlicher Hast dem weit entrückten Ziele zueilen, unser Schritt noch unsicher ist, und wir ein über das andremal auf ungewohnter Bahn straucheln.


V.
Literatur und Kritik.
Kritiken.

 1. a) Slawen, Russen, Germanen. Ihre gegenseitigen Verhältnisse in der Gegenwart und Zukunft. Leipzig, Engelmann.

 Die politische Gestaltung Europas lag bis in das vorige Jahrhundert fast allein in dem Willen und der Macht der Völker romanischer und germanischer Abkunft. Mit der Gründung Petersburgs und seit der Schlacht von Poltawa gewannen die Slawen, eine Nation, in materieller Kraft keiner andern europäischen nachstehend, wenigstens zum Theil eine Stimme in dem europäischen Völkerrathe. Politische Klugheit und siegreiche Tapferkeit haben die Bedeutung dieser Stimme in der neuern Zeit und zumal in der Gegenwart nicht nur sicher gestellt, sondern sogar erstaunlich gesteigert. Allein nur die eine grössere Hälfte der slawischen Nation, die Nordostslawen, erfreuen sich politischen Ansehens, die westliche Minderzahl errang nur noch wenig oder keinerlei Bedeutung. Auch unter diesen Slawen ist unverkenntlich ein warmes Gefühl für Nationalität und ein reger Eifer, derselben Anerkennung zu verschaffen, in jüngster Zeit erwacht. Es ist aber die Forderung von 20 Millionen auf Anerkennung der nationellen Rechte nicht ohne

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/189&oldid=- (Version vom 3.9.2019)