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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

himmelweit verschieden: beim Pentarchisten feiner, diplomatischer Styl, das Wahre oft machiavellistisch verzerrt; bei unserem Slawen eine lebensvolle warme Schreibart, nirgends Perfidie, wohl manchmal zu viel Ehrlichkeit zum Nachtheil seiner Clienten, in Angaben Zuverlässigkeit.

 Die Aufgabe, welche das vorliegende Buch zu lösen versprach, war keine unbedeutende: die nationelle Bedeutung aller Slawenstämme abzuschätzen, ihre Stellung unter einander festzusetzen, das Verhältniss zu ihren Regierungen anzudeuten und die Beziehungen zu Deutschland klar zu machen; wahrhaftig, es gehört eine sehr genaue Kenntniss der östlichen Hälfte Europas dazu, hier etwas Gnügliches zu leisten. Trotz des etwas unpassenden Titels darf im Allgemeinen versichert werden, dass diese Schrift ihre Aufgabe nicht übel gelöst habe, dass sie, in Rücksicht auf das vor ihr zur Förderung der Kunde slawischer Verhältnisse und Zustände in Deutschland Geschehene, die bedeutendste Schrift ist, welche bisher erschienen. Es ist dieses Werkchen die Frucht langer, aufmerksamer Betrachtung des literarischen wie des politischen Slawenthums und verdient als solche unbedenklich die rege Aufmerksamkeit Deutschlands, welches vom europäischen Norden und Osten eine gründlichere Ansicht aus diesem Buche gewinnen wird, als aus den bisher erschienenen Schriften, welche mehr oder weniger gedungenen Interessen huldigten.

 Wir schliessen uns bei der Betrachtung der in dieser Schrift ausgesprochenen Ansichten an die Ordnung, welche im Buche selbst beobachtet werden sollte, an, obgleich dieselbe wenig beachtet und vielmehr das Nationale mit dem Politischen und umgekehrt vielfach vermischt worden ist.

 Der Verfasser hält sich an die bekannte Scheidung der Slawen in West- und Ostslawen, jenen die Lausitzer, Böhmen, Slowaken und Polen, diesen die Russen, Illyrer, Serben und Bulgaren zuzählend, und betrachtet in der ersten Abtheilung seines Buches, welche er „die slawischen Völkerschaften in ihrer Eigenthümlichkeit“ überschrieben hat, diese Völkerschaften in der gedachten Reihenfolge.

 Die ethnographischen Angaben geben wir nicht wieder, da sie fast ohne Ausnahme aus Schafariks slawischer Ethnographie, man möchte fast sagen, mit allzugrosser Freiheit entnommen sind, diese Angaben aber im ersten Hefte der Jahrbücher mehrentheils mitgelheilt worden sind.

 Die lausitzer Slawen eröffnen die Discussion, nicht zum Vortheile des Buches. Der Verfasser bemerkt, von den neuerwachten Bestrebungen der lausitzer Serben zur Wiedererweckung und Erhaltung ihrer Nationalität sprechend: „uns Slawen selbst dünken die Bestrebungen einiger jungen Männer in der Lausitz mehr als Spiel oder Scherz, wenn sie sich bemühen, eine Nationalität aufzupflanzen, wo keine mehr ist und keine mehr sein kann.“ Woher weiss der Verfasser, dass in den Lausitzen keine Nationalität mehr existirt? Es ist ihm kaum zu glauben, dass er je das lausitzer Serbenthum in der Nähe, auf einer Reise, wie er S. 5 behauptet, kennen gelernt habe. Das lausitzer Serbenthum befindet sich in derselben Lage, wie das Deutschthum in Siebenbürgen oder in der Zips; den Deutschen muss daran gelegen sein, dass jene germanischen Colonien die Stürme des Magyarenthums überleben, gleichwie sie ihnen bereits fünf Jahrhunderte siegreich widerstanden haben. Das Recht, seine Nationalität aufrecht zu erhalten, kann Niemandem abgesprochen werden: es kommt also blos auf den Willen der Nationalen selbst an, ob sie ihre Nationalität aufgeben wollen oder nicht, da ein Zwang hierin gegen alles Völkerrecht verstösst und nur in Staaten vorkommen kann, wo man das Grundgesetz alles Völkerrechts: „Jede Nation hat als solche das Recht zu existiren und steht gleichberechtigt neben jeder andern da“, wie in Ungarn, mit Füssen zu treten sich nicht entblödet. Im constitutionellen Sachsen ist indessen von einer solchen Verhöhnung der Nationalrechte in der Gegenwart keine Rede mehr und es leidet sogar keinen Zweifel, dass die Serben, falls sie es selbst nur mit Nachdruck zu fordern wissen, vollkommene Freiheit ihres Volksthums zu erlangen vermögen. Wir versichern dem Verfasser des uns vorliegenden

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/191&oldid=- (Version vom 8.11.2018)