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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Junten ein, welche Form der künftigen Verwaltung zu geben sei; aber Niemand bestimmte weder den Tag noch den Ort. Die polnischen Verschwornen sandten ihre Delegirten an die russischen, aber in diesen Einverständigungen hinterging man einander von beiden Seiten. Die Polen verheimlichten nicht gegen ihre Vertrauten, dass es sich bei ihnen nur darum handelte, in Russland die Unordnung zu entzünden und dann den guten Augenblick zu benutzen; die Russen vertrauten ebenfalls ihren Freunden an, dass, wenn sie den Polen gleich Unabhängigkeit versprächen, sie doch, so bald sie ihre Dynastie gestürzt, augenblicklich daran denken würden, Polen in ihrer Hand zu behalten. Ja nicht einmal unter den Russen selbst war Einigkeit. Der sogenannte nördliche Verein wollte sich des südlichen entledigen. Auf der andern Seite dachte wieder Pestel, eines von den Mitgliedern, das im Süden die grösste Rolle spielte, lange hin und her, wie er sich die Petersburger Rädelsführer vom Halse schaffen möchte. So täuschten sogar die Russen einander selbst; denn die ganze Verschwörung beruhte auf einer negativen Idee, auf dem Hasse. Niemand sagte, was er gut heisse, was er wünsche; Niemand bezeichnete den Menschen, der die ganze Sache leiten; Niemand wollte den Tag bestimmen, an dem man losbrechen sollte; aber dennoch verrieth Niemand. Der Verräther und der Denunciant war ein Fremdling, ein Engländer mit Namen Sherwood, welcher, zu der Verschwörung beigezogen, berechnete, dass er mehr gewinne, wenn er sie verrathe, als wenn er ihr treu bliebe, und so schrieb er Alles an Witt. — Der Graf Witt, der Sohn eines polnischen Generals von einer griechischen Mutter, der selbst nicht wusste, zu welcher Nation er gehöre, zu welchem Glauben er sich bekenne, war ein wahrhaftiger Repräsentant der Parthei der Ausländer, welche sich in Petersburg eingenistet hatten. Er führte damals das Hauptsteuerruder der Polizei in den südlichen Gouvernements und hatte bereits vor dem Berichte Sherwoods Nachricht[WS 1] von der Verschwörung, welche ihm ein Agent gegeben, den kein amtliches Schreiben, noch das Erkenntniss des Gerichts von seiner schlechten That freizusprechen im Stande ist. Dieser Verräther, ein Spion, gewandter als alle bekannten Helden dieses Geschlechtes, hiess Boschnjak. Nachdem er früher wegen Diebstahl und verschiedener anderer schlechten Streiche öfters eingezogen worden war, wurde er später wieder herausgelassen und heimlich zum Collegialassessor ernannt; gewöhnlich galt er für einen Literaten und begleitete Witt unter dem Namen eines Naturalisten überall hin. Er sprach geläufig alle Sprachen, drängte sich in alle Gesellschaften und wusste den Leuten geschickt ihre Geheimnisse zu entlocken. Durch diesen über Alles in Kenntniss gesetzt, beeilte sich Witt jedoch nicht, die Regierung darauf aufmerksam zu machen; denn von der einen Seite kannte er Arakczejew zu gut, der damals an der Spitze der Geschäfte stand; von der andern Seite wusste er genau genug, was die Absichten und welches die Mittel der Verschworenen waren. Allein die Anzeige Sherwoods zwang ihn, einen Bericht nach Petersburg zu senden. Es geschah das in dem Augenblick, wo der Kaiser Nicolaus auf den Thron stieg. Die Verschworenen sahen sich gezwungen, alle die schauderhaften Mittel in Bewegung zu setzen, wie sie in Russland seit den Zeiten des Pseudodimiter vorgekommen waren, selbst nicht die Tendenzen der Dolgoruki ausgenommen. Nun ward es nothwendig, Jemanden aus der kaiserlichen Familie zu nehmen und ihn unter dem Schutze seines Namens auf den Thron zu heben. Kaum hatte sich also die Nachricht verbreitet, der Carewicz Konstantin habe der Krone entsagt, so erfasste man diese Gelegenheit und beschloss zu den Waffen zu rufen im Namen des Grossfürsten Konstantin. Wäre dieser zufällige Umstand nicht eingetreten, so hätte sich die Verschwörung noch andere zehn Jahre in die Länge gezogen, ohne auszubrechen. Allein auch dieses war Täuschung; denn Niemand hatte die Absicht, den Fürsten Konstantin zum Grossfürsten auszurufen. Daher kam es auch, dass die Begeisterung so bald erlosch. Was dann weiter daraus entstand, ist bekannt. — Der Kaiser Nikolaus hatte gar keine Idee von einer Verschwörung in Petersburg und war der Meinung, dass einige Bataillone nur aus eigenem Antriebe nach seinem Bruder gerufen hätten. Diese Unwissenheit war auch der Grund, dass er mit so kaltem Blute den Verschworenen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/60&oldid=- (Version vom 26.9.2022)