auszuweichen pflegten, so tauchten sie dafür oft plötzlich unter den Römern aus den unterirdischen Stollen auf, und bevor noch ein Stück der Mauer vollständig eingerissen ward, hatten sie auch schon eine andere hinter dieser Stelle aufgemauert, mit einem Worte: weder ihr Arm noch ihr erfinderischer Kopf versagte ihnen bei dem Entschlusse, bis zum Aeußersten Widerstand zu leisten. 351 Wirklich, zogen sie die Belagerer fünf Monate lang hin, obgleich eine so riesige Macht sie umschlossen hielt, bis endlich einige von den Elitetruppen des Herodes sich den Muth nahmen, die Mauer zu erklimmen, und in die Stadt eindrangen, hinter ihnen einige Hauptleute des Sosius. Zuerst fiel das Tempelgebiet in ihre Gewalt, durch welches sich nun das ganze Heer wie ein brausender Strom in die Stadt ergoss: überall wüthete der Tod in tausend Gestalten, da die Römer durch die langwierige Belagerung in die äußerste Wuth versetzt waren, das jüdische Element aber unter den Leuten des Herodes natürlich sich beeilte, jeden Widerpart aus dem Wege zu räumen. 352 Haufenweise wurden sie so in den schmalen Gassen, wie auch in den vollgedrängten Häusern und auf der Flucht zum Tempel mit dem Schwerte niedergemäht: weder Kind noch Greis noch das schwache Geschlecht fand Erbarmen, und obzwar der König selbst überall hinschickte und Schonung empfahl, hielt niemand in der Metzelei ein, sondern man hieb wie wahnsinnig auf jedes Alter los. 353 Jetzt steigt auch Antigonus, ohne seine ehemalige Würde noch das Schicksal, das ihn nunmehr erwarten musste, zu bedenken, von der Burg herab, um sich dem Sosius zu Füßen zu werfen! Der aber hatte nicht das leiseste Erbarmen mit dem so schrecklich gestürzten Manne, sondern lachte ganz unbändig über ihn und nannte ihn Antigone, obschon er ihn im Uebrigen durchaus nicht als Weib behandelt wissen wollte, d. h. ungehindert weggehen ließ, er ward vielmehr in Ketten gelegt und in Gewahrsam gebracht.
354 (3.) Nachdem jetzt Herodes seine Feinde gebändigt hatte, war nunmehr seine Sorge darauf gerichtet, auch seine fremdländischen Bundesgenossen zu zügeln. Eilte ja doch das fremde Kriegsvolk scharenweise herbei, um das äußere Tempelgebäude und die Heiligthümer im Tempelhaus selbst in Augenschein zu nehmen. Die einen davon hielt nun der König durch gute Worte, die anderen durch Drohungen, einige auch mit Waffengewalt zurück, weil nach seiner Meinung der Sieg noch verhängnisvoller werden musste, als eine Niederlage, wenn die siegreichen Soldaten etwas schauen würden, was keinem Auge enthüllt werden durfte. 355 Auch den Plünderungen in der Stadt that er jetzt Einhalt, nachdem er mit Sosius eine lange und sehr nachdrückliche Auseinandersetzung gehabt, wobei er unter anderem
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/077&oldid=- (Version vom 10.2.2020)