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noch etwas hatten oder nicht: Waren sie noch ziemlich gut beisammen, so mussten sie wohl auch noch über Speisevorräthe verfügen, nur wer schon ganz abgezehrt war, den ließ man unbehelligt und hielt es auch für ganz überflüssig, einen solchen zu tödten, dem ohnehin gleich die Noth den Garaus machen musste. 427 Viele handelten sich heimlich um ihr ganzes Hab und Gut eine Maß Weizen ein, wenn sie reicher, eine Maß Gerste, wenn sie ärmer waren. Dann schlossen sie sich damit in den entlegensten Winkel des Hauses ein und aßen dort das Getreide in ihrem grimmigen Hunger manchmal sogar noch ganz roh, hie und da auch zubereitet, je nachdem der Hunger und die Furcht es rathsam erscheinen ließen. 428 Ein förmlicher Tisch wurde nirgends mehr angerichtet, und noch fast ungekocht riss man die Speisen aus dem Feuer, um sie mit wilder Gier zu verzehren.

429 (3.) So erbärmlich nun auch diese Nahrung schon war, so konnte man sich der Thränen nicht mehr enthalten, wenn man erst sehen musste, wie die kräftigeren Familienglieder die Speisen an sich rissen, während die Schwächeren wimmernd zusehen mussten. Wie der Hunger bekanntlich alle anderen Gefühle zurückdrängt, so löst er noch am stärksten die Bande frommer Scheu! Denn was einen sonst mit Beschämung erfüllen müsste, das achtet man im Hunger für gar nichts mehr, 430 und so rissen denn auch Frauen ihren Männern, Söhne ihrem Vater und, was selbst einen Stein hätte erweichen müssen, sogar Mütter ihren Kleinen die Nahrung aus dem Munde! Man hatte mit den theuersten Personen, wenn sie einem schon unter den Händen zu vergehen drohten, nicht einmal so viel Erbarmen, ihnen die letzten Tröpflein des verrinnenden Lebens zu gönnen. 431 Aber selbst diese klägliche Nahrung konnten sie nicht ungestört genießen, da die Aufrührer überall sogar auf solche elende Bissen noch Jagd machten. 432 Sahen sie irgendwo ein Haus abgesperrt, so war ihnen das ein Zeichen dass die Leute drinnen Speise zu sich nähmen, und sofort sprengten sie auch schon die Thüren auf, drangen hinein und würgten den Leuten fast den Bissen Brot wieder zum Schlunde heraus! 433 Hier schlug man einen Greis, der von seinem Vorrath nicht lassen wollte, dort schleifte man eine Frau bei den Haaren, weil sie, was sie eben in der Hand hielt, noch verstecken wollte. Weder das graue Haar des Alters, noch das kleine Kind fand Erbarmen: das Knäblein, das seinen Bissen krampfhaft in den Zähnen hielt, ward mit ihm aufgehoben und aus den Boden hingeschmettert. 434 War aber jemand doch noch schneller gewesen, als die Eindringlinge, und hatte er die Speise, die sie zu erbeuten gehofft hatten, schon vollständig verschlungen, so ward er von den Räubern nicht anders, als wäre er dadurch selbst an

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Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/420&oldid=- (Version vom 1.8.2018)