Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1837 V1 175.jpg

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Tochter geholfen. Die Schachtel aber schwamm wie ein Schiffchen, und durch Gottes Gnade geschah es daß kein Tröpfchen Wasser hinein kam. Sie schwamm bis zwei Meilen von des Königs Hauptstadt, wo eine Mühle war, an dessen Wehr sie hängen blieb. Ein Mahlbursche, der sie bemerkte, zog sie mit einem großen Hacken heran, und dachte es lägen große Schätze darin, als er sie aufmachte lag ein kleiner schöner Knabe darin, der ganz frisch und munter war. Er brachte ihn zu den Müllersleuten, und weil diese keine Kinder hatten, freuten sie sich darüber, und sprachen „Gott hat es uns bescheert.“ Sie pflegten den Fündling wohl, und zogen ihn in allen Tugenden groß.

Es trug sich zu, als der Junge herangewachsen war, daß der König einmal bei einem Gewitter in die Mühle trat und die Müllersleute fragte ob das ihr Sohn wäre. „Nein,“ antworteten sie „es ist ein Fündling, er ist vor vierzehen Jahren in einer Schachtel ans Wehr geschwommen, und der Mahlbursche hat ihn aus dem Wasser gezogen.“ Da merkte der König daß es das Glückskind war, das er ins Wasser geworfen hatte, und sprach „mein, ihr guten Leute, könnte der Junge nicht einen Brief an die Frau Königin bringen, ich will ihm zwei Goldstücke zum Lohn geben?“ „Wie der Herr König gebietet“ antworteten die Leute, und hießen den Jungen sich bereit halten. Da schrieb der König einen Brief an die Königin, worin stand „sobald der Knabe mit diesem Schreiben angelangt ist, soll er getödtet und begraben werden, und das alles soll geschehen seyn ehe ich ankomme.“

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1837). Göttingen: Dieterich, 1837, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1837_V1_175.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)