sind einfach Ueberlieferungen ehemaliger, den gegenwärtigen entsprechender, mündlicher Varianten. In ersterem Falle können die geschriebenen Varianten allein auf Geltung Anspruch machen und in letzterem Falle sind sie als Vertreter von – nach dem Massstabe der Geschichte beurteilt – sehr alten mündlichen Varianten als besonders wichtige Urkunden in Betracht zu ziehn.
Was nun zunächst die angeführten Varianten des Tierepos betrifft, so ist zu bemerken, dass die älteste und, weil in lateinischer Sprache abgefasst, am wenigsten verbreitete derselben (Ysengrimus) der aus den volkstümlichen Varianten sich ergebenden Urform am nächsten steht, was am klarsten daraus hervorgeht, dass hier unter den Verfolgern die Frau besonders hervortritt. Aber ebensowenig, wie von den kirchlichen Details des Ysengrimus irgendwo anders etwas wahrzunehmen ist, ist jener demselben mit dem Renart und dem Reinhart gemeinsame Zug, dass der Schwanz durch Zufall abgehauen wird, gegenwärtig wiederzufinden. Das zufällige Erscheinen des Verfolgers, das sich in den zuletzt erwähnten, sowie in Odos Fabeln findet, hat nicht einmal in der eigentlichen Ausbreitungssphäre derselben, Frankreich, Deutschland und England, die geringste Spur hinterlassen, sondern ist besonders, was den Ysengrimus betrifft, zweifellos für eine von der mittelalterlichen Ritterliteratur geschaffene Aenderung zu halten, welche nichts zu thun hat mit den gleichartigen osteuropäischen Varianten. Die in dem jüngsten und verbreitetsten Tierepos stattfindende Verwandlung des männlichen Wolfes in eine Wölfin (Reynke 2), welche erst in der Fortsetzung des Reinaert (vgl. Reynke 1) unter dem Einflusse eines zweiten, mit dem ersten vermengten, Tiermärchens (XXVIII) entstanden ist, hat eine gründliche Corruption des Märchens hervorgerufen; doch hat auch diese merkwürdigerweise sich in keiner einzigen volkstümlichen Variante einbürgern können. Das in den Extravaganten vorkommende Festbinden eines Korbes an den Schwanz hat wohl einige mitteleuropäische Varianten beeinflussen können (besonders in Dd 11, Fa 7, 8, obgleich auch diese sich schon ziemlich von jenen unterscheiden), aber das Unnatürliche dieses Zuges wie auch das Fehlen desselben im Ysengrimus, in
Kaarle Krohn: Bär (Wolf) und Fuchs. Suomalaisen Kurjallisuuden Seuran Kirjapainossa, Helsingissä 1889, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Krohn_B%C3%A4r_(Wolf)_und_Fuchs.djvu/37&oldid=- (Version vom 1.8.2018)