Odos Fabeln und im Reynke, von den mündlichen Varianten nicht zu reden, spricht deutlich gegen seine Ursprünglichkeit. Ausserdem wissen wir gerade von den Extravaganten, dass sie einfach aus dem Volksmunde niedergeschrieben sind. Noël du Fails späte Variante ist nur eine ganz kurze Andeutung irgend eines französischen Volksmärchens. Daher kann man nicht annehmen, dass irgend eine dieser obenerwähnten geschriebenen Varianten einen nennenswerten Einfluss ausgeübt habe, geschweige denn, dass sie die einzige Grundlage für die Entwicklung und Ausbreitung des vorliegenden Tiermärchens sei. Daraus folgt unbedingt, dass dieses nicht eine von mittelalterlichen Geistlichen selbsterfundene Erzählung, sondern ein schon um 1100 in Flandern verbreitetes Volksmärchen ist, welches der Dichter des Ysengrimus unseres Wissens zuerst aufgezeichnet hat.
Aber obgleich man also die geschriebenen Varianten des vorliegenden Tiermärchens, wenn man sie mit den mündlichen vergleicht, nur als gleichwertig mit diesen betrachten kann, so spricht doch ihr bedeutendes Alter ebenso für die Ursprünglichkeit des Wolfes, wie diese durch die Mehrzahl der mündlichen Varianten unterstützt wird. Was nun zunächst das Alter der geschriebenen Varianten betrifft, so fällt dies an sich nicht so sehr in die Wagschale, da in ihnen ja auch mancher andere Zug des Märchens recht merklich korrumpiert ist. Die Mehrzahl der mündlichen Varianten wiederum verliert bei näherer Betrachtung nicht wenig an Wert und Bedeutung.
Wenn wir zuerst die finnischen Volksmärchen mit einander vergleichen, so können wir gleich zwei von einander verschiedene Formen unterscheiden. Nach der einen reisst der Bär seinen Schwanz ab, indem er eine vermeintliche Ladung Fische emporheben will oder von Verfolgern, die der Fuchs herbeigerufen hat, aufgescheucht wird, nach der andern wird der Wolf von ganz zufällig erschienenen Verfolgern geprügelt und erschlagen. Die erste Form findet sich in West-Finnland, Tawastland (ausser einer Variante aus dem Norden der Landschaft: Ae ‘b. Kivij.’), dem südlichen Karelen und südlichen Österbotten, die zweite im gesamten Uleåborgs-Län (ausser Am ‘a. Ristij.’, wo der Bär vielleicht
Kaarle Krohn: Bär (Wolf) und Fuchs. Suomalaisen Kurjallisuuden Seuran Kirjapainossa, Helsingissä 1889, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Krohn_B%C3%A4r_(Wolf)_und_Fuchs.djvu/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)