gebildet; hier ist an kein weiches Anschmiegen zu denken. Immer dachte ich mir bei Hylas „halb zog sie ihn, halb sank er hin;“ hier aber gilt Kraft gegen Kraft. Recht lieblich ist das langflatternde, mit weißen Grasblumen bekränzte Haar der Malis, die ohnehin am seelenvollsten ist; der Schilfkranz Nychea’s wäre passend, wenn ich-mich mit diesem Kopf überhaupt versöhnen könnte. Aber die moosige Felsenwand, die duftige Ferne, das üppige Schilf und die Kräuter und Blumen vorn, das spiegelnde tiefe Wasser, dies thut mir wohl, darauf ruht mein Auge aus von den Gestalten, die ich weder dichterisch, noch irdisch zu nennen weiß, und nicht elementarisch finden kann!
Ein alter Professor: O über das Geschwätz! Sie sind akademisch richtig und brav, und damit Punctum! Als ob nicht mehr dazu gehörte, so einen Hylas zu malen als ein Knäblein, wie der Herr da meint.
Der Krittler: Unstreitig; wenn ich nur erst ergründen könnte, wie das rechte Knie der vordern Nymphe sich so seitwärts wenden kann, da man sie von hinten sieht. – –
Julie: O bitte, Väterchen, sieh dies holde Familienbild daneben, so recht Vater und Tochter zusammen! Das liebe schöne Mädchen, wie gut steht ihr das enganschließende Gewand, was aus paille in Lilas schimmert! Ich möchte den zarten Ausdruck ihrer Physiognomie selbst mit dem Accorde dieser Farben vergleichen. Der Vater aber, der ist voll Feuer und Kraft! Wie heftig er ihre herabhängende rechte Hand faßt, während sie die linke so sanft auf die väterliche Schulter legt!
Der Kunstfreund: Es ist der Prinz Radzivil mit seiner holden Tochter, von unserm wackern Kügelgen gar meisterhaft gemalt.
Die Dame: Aber das hohe Haargeflecht der Prinzessin kleidet doch so einem jungen Gesichtchen nicht recht; indeß, die Mode verlangt es.
Der Krittler: Hätte nur der weiße Ermel andere Falten! das Eingesunkene desselben auf dem Vorderarme stört mich.
Der Kenner: Mich keinesweges; es macht sich oft in der Natur eben so. Welch’ ein schönes Bild hängt aber hier daneben, No. 472. Diese herrliche Beleuchtung, die sich so auf der Stirne concentrirt, während alles Uebrige des lebensgroßen Kniestückes in ein kräftiges und klares Helldunkel zurücktritt, diese läßt den gewesenen Schüler Grassi’s errathen, Moritz Retzsch, der selbst zum Meister reifte.
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/5&oldid=- (Version vom 10.11.2024)