und Terzen, welche von den beiden Spielern Reuß und Fröhlich in meist ländlichen und volkstümlichen Weisen nicht ohne musikalisches Gefühl geübt wurden. – Mein Großvater mütterlicherseits, ein Original, dessen Blütezeit in die Jahre 80 und 90 des vorigen Jahrhunderts fiel, war ein genialischer Freidenker zu Gunsten einer ziemlich materialistischen Lebensauffassung, die ihm das sogenannte philosophische Zeitalter imputiert haben mochte. – Er starb nahe an 70 Jahre, nachdem unsägliche Schicksalsschläge und die mannigfachsten Plagen dieses Lebens ihn betroffen. – Die Großmutter, klein, beweglich, von ungemeiner Lebenszähigkeit, eine vortreffliche Hausfrau nach gewissem altbürgerlichen Begriff. Sie hatte ihre Kindheit zu Frankenthal in Schwaben verlebt. Als ich ein kleiner Junge war, fand ich ihre Erzählungen von Geschichten meist ungeheuerlicher, spukhafter Natur, die ihrer eigenen Kindheit hinwiederum in Schwaben überkommen waren, ganz gruselig anziehend. Sie war eine eifrige, altprotestantische Lutheranerin, deren tiefes Mißtrauen gegen das Papsttum überall Schlingen sah und jeden Katholiken einer Art von Seelenverkäuferei und Seelenverräterei fähig hielt, daher sie auch über meinen Aufenthalt in München sehr in Sorgen war und mich, als ich sie im Jahre 1836 von da aus einmal besuchte, aufs Gewissen befragte, ob man mich in diesem erzkatholischen Lande nicht etwa herumgekriegt habe. Sie pflegte ihren Abendsegen mit lauter und vielfach mit Seufzern unterbrochener Stimme zu beten. Am Schlusse desselben kamen Bitten um leibliche Wohlfahrt vor; so auch Bitten um Abwendung der Naturplagen, der Elemente, der Pest; auch die Türken kamen darin vor. Sie erreichte das hohe Alter von 86 Jahren. Das Bild dieser Eltereltern gleicht dem Jahrhundert, aus welchem sie in die gegenwärtige Zeit herübertraten, und Gott habe sie selig und gebe ihnen eine fröhliche Auferstehung. – So wuchs ich denn inmitten einer Bevölkerung heran, deren Grundcharakter im ganzen bei vieler Gutmütigkeit doch ein leichter, sorgloser und lockerer genannt werden kann. Auch knüpfen sich an das Meißner Land, die Stadt und das damalige Geschlecht noch eine Reihe der lebendigsten und eindringlichsten Bilder, vorzugsweise aus der Zeit der Franzosenherrschaft. Ich sah, ein 9–l0jähriger Knabe, noch den Pomp und Glanz der militärischen Machtvollkommenheit Bonapartes vor und nach dem russischen Feldzuge. Ich sah das schöne, rote Regiment bärmütziger Leibgarde, 1300 großer schöner Männer in Parade, welche der König von Sachsen Napoleon als Ehrengeleit zu folgen befohlen. Von einer Terrasse herab
Wilhelm Loose: Lebensläufe Meißner Künstler. C. E. Klinkicht & Sohn, Meißen 1888, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lebensl%C3%A4ufe_Meissner_K%C3%BCnstler.pdf/17&oldid=- (Version vom 21.12.2024)