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Doch solchem Ruf gebührt zur Antwort solches:
O feige Gottesknechtschaft! Kettenhunde!

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Ein stumpfes Amen statt des scharfen Dolches?

Spürt euer kalter Brand nicht mehr die Wunde?

Der Römler wird am Sacrament nicht irre,
Wenn sündhaft lebt der Priester der Gemeine,
Weil Gnade nicht gerinnt im Schmutzgeschirre,

20
Die Hostie schmutzt ja nicht, die ewig reine!


O lernt vom Römler Weisheit, fromme Zager!
Ist mancher Streiter auch nicht rein des Schmutzes,
Ist rein doch das Panier im Freiheitslager,
Und wahr das Herz des ungeschlachten Trutzes.

25
Im Strauchgewirr von Glauben, Recht und Sitte

Ein Ungeheuer liegt in Schlangenringen;
Trat Mancher drauf mit unversehnem Tritte,
Und schrie entsetzt, kann das melodisch klingen?

Ein kaltes, plumpes, blödes Ungeheuer,

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Das Herzen frißt und saugt Gehirne trocken,

Das ewig wälzt, ein träger Wiederkäuer,
Des Elends mittelalterliche Brocken.

Empfohlene Zitierweise:
Nicolaus Lenau: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß. J. G. Cotta, Stuttgart und Augsburg 1858, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lenau_-_dichterischer_Nachlass,_1858.djvu/119&oldid=- (Version vom 22.4.2023)