aber sie drängte es mit Gewalt zurück. Nein, nur kein Mitleid. – Ihre Liebe, ihre heilige Liebe sollte nur Liebe sein, – kein anderes Gefühl sollte sich da hinein drängen, es sollte reine, reine Liebe bleiben, – sonst lieber sterben!
Sie zürnte Ludwig auch nicht, dass er nicht imstande war, die Schlacken von seiner Seele zu entfernen, – ihr grosses Herz begriff und verstand nur, wie sehr er selber darunter leiden musste, und sie begriff, wie schwer es für ihn sein musste, zu glauben, dass thatsächlich ein Wesen ihn liebte, ausschliesslich, wirklich liebte. Hatte sie doch täglich selber beobachten können, mit welchem Entsetzen und mit welchem Abscheu man ihren Mann überall betrachtete, und wie man sie mit dem grössten Erstaunen und Mitleid ansah.
Sie hatte ihm so oft gesagt, dass es gerade sein Gesicht gewesen war, dass sie zu ihm hingezogen, denn das ganze liebelose Dasein war ihm mit diesem Gesicht von vornherein bestimmt. Sie selbst fand nichts Abschreckendes in seinem Antlitz, sondern liebte ihn gerade darum so zärtlich, denn durch dieses Gesicht gehörte er ihr ja so ganz allein, ganz allein. Siehst Du, hatte sie ihm gesagt, reiner Egoismus! Genau, wie ich Dir gleich im Anfange
Hennie Raché: 'Liebe. Roman'. G. Müller-Mann’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1901, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebe_(Hennie_Rach%C3%A9).djvu/102&oldid=- (Version vom 10.11.2016)