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VON EINEM ARMEN REICHEN MANNE
(26. april 1900)


Von einem armen reichen manne will ich euch erzählen. Er hatte geld und gut, ein treu es weib, das ihm die sorgen, die das geschäft mit sich brachte, von der stirne küßte, einen kreis von kindern, um die ihn jeder seiner arbeiter beneiden konnte. Seine freunde liebten ihn, denn, was er angriff, gedieh. Aber heute ist es ganz, ganz anders geworden. Und das kam so:

Eines tages sagte sich dieser mann: „Du hast geld und gut, ein treues weib und kinder, um die dich jeder deiner arbeiter beneiden kann. Aber bist du denn glücklich? Sieh, es gibt menschen, denen alles das fehlt, worum man dich beneidet. Aber ihre sorgen werden hinweggescheucht durch eine große zauberin, die kunst. Und was ist dir die kunst? Du kennst sie nicht einmal dem namen nach. Jeder protz kann seine visitkarte bei dir abgeben, und dein diener reißt die flügeltüren auf. Aber die kunst hast du noch nicht bei dir empfangen. – Ich weiß wohl, daß sie nicht kommt. Aber ich werde sie aufsuchen. Wie eine königin soll sie bei mir einziehen und bei mir wohnen.“

Es war ein kraftvoller mann, was er anpackte, wurde mit energie ausgeführt. Das war man bei seinen geschäften so von ihm gewohnt. Und so ging er noch am selben tage zu einem berühmten architekten und sagte ihm: „Bringen sie mir kunst, die kunst in meine vier pfähle. Kosten nebensache.“

Der architekt ließ sich das nicht zweimal sagen. Er ging in die wohnung des reichen mannes, warf alle seine möbel hinaus, ließ ein heer von parkettierern, spalierern,

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/201&oldid=- (Version vom 1.8.2018)