des neunzehnten jahrhunderts vorbehalten. Bis dahin blieb die entwicklung unserer kultur in schönem, gleichmäßigem fluß. Man gehorchte der stunde und sah nicht vorwärts und nicht rückwärts.
Aber da tauchten falsche propheten auf. Sie sagten: Wie ist doch unser leben so häßlich und freudlos. Und sie trugen alles aus allen kulturen zusammen, stellten es in museen auf und sagten: Sehet, das ist schönheit. Ihr aber habt in erbärmlicher häßlichkeit gelebt.
Da gab es hausrat, der wie häuser mit säulen und gesimsen versehen war, da gab es samt und seide. Da gab es vor allem ornamente. Und da der handwerker, weil er ein moderner, kultivierter mann war, nicht im stande war, ornamente zu zeichnen, gründete man schulen, in denen gesunde junge menschen so lange verbogen wurden, bis sie es konnten. Wie man in China kinder in eine vase steckt und sie jahrelang füttert, bis sie als greuliche mißgeburten ihren käfig sprengen. Diese greulichen geistigen mißgeburten wurden nun genau so wie ihre chinesischen brüder gebührend angestaunt und konnten dank ihrer defekte leicht ihr brot verdienen.
Es war nämlich damals niemand da, der den menschen zugerufen hätte: Bedenkt doch, der weg der kultur ist ein weg vom ornament weg zur ornamentlosigkeit! Evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande. Der papua bedeckt alles, was ihm erreichhar ist, mit ornamenten, von seinem antlitz und körper bis zu seinem bogen und ruderboot. Aber heute ist die tätowierung ein degenerationszeichen und nur mehr bei verbrechern und degenerierten aristokraten im gebrauch. Und der kultivierte mensch findet, zum unterschied vom papuaneger,
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/306&oldid=- (Version vom 1.8.2018)