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120.
Die Prinzessin im Wittgenstein.

Im Thale des Ruhlawassers, das dort auch der Erbstrom heißt, ohnweit dem Dorfe Farrnrode, hängt eine Felswand, die heißt der Wittgenstein, ein Name, der auch nach mythischer Frühe deutet; auf diesem Felsen stand einst ein Schloß, und in dem Schlosse wohnte eine Prinzessin, die ist nun in den Felsen gebannt, warum? weiß niemand so recht eigentlich zu sagen. Sie habe einen Ritter gegen den Willen ihres Vaters geliebt, der habe sie entführt, aber der Vater habe ihn eingeholt und erschlagen. Darob sei die Prinzessin alsbald vor Herzeleid Todes verblichen und dann haben beide sehr gespukt, bis der Ritter von Pöpelsträgern in den Ritterberg gebannt worden sei, und die Prinzessin in den Wittgenstein. Nun möchten beide immer gern zu einander, und können nie zusammenkommen. Die Prinzessin darf nur alle 7 Jahre einmal aus dem Felsen – sie hat schon oft Musikanten mit grünen Zweigen, oder andere Wanderer mit allerlei scheinbar werthlosen Dingen, als Knochen, Knotten, Waizenkörnern u. dgl. begabt, von denen den Thörigten, die alles wegwarfen, insgemein noch ein kleiner Rest in Schuhen, Kleidern oder Körben hängen blieb, daraus dann pures Gold wurde. Ein Farnroder Hirte sah bei seiner Heerde häufig eine fremde Kuh, die sehr schön war, die er nicht kannte und die niemandem in der Gemeinde gehörte, und Abends nie unter der Heerde war. Das fiel dem Hirten auf und einmal ging er jener Kuh nach, wie sie unter Erlen und Weiden am Bache sich verlor, und auf einmal trat sie in eine Kluftspalte des Wittgensteins. Jener ging

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/236&oldid=- (Version vom 1.8.2018)