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Kleinodien und Münzen offen da, die weiße Frau erscheint mit einem ganz verklärtem Gesichte, deutet nach dem offen da stehenden Schatze, und giebt zu verstehen, etwas auf denselben zu werfen; die Jungfrau, welcher derselbe bescheert war, war aber so befangen und furchtsam – und da begann drunten in Liebenstein die Uhr zwölfe zu schlagen, und mit dem ersten Schlage rief die weiße Frau mit einem zärtlichen und dankbaren Blick: Heil Dir! Heil mir! Ich bin erlöst! – Indem verschwand sie, verschwand auch der Schatz und verstummte die Musik. So hatte für ihr Erlösungswerk die Jungfrau für den Augenblick keinen Lohn, aber es ist ihr hernach immer wohl ergangen, sie hat Segen gehabt, und ist eine glückliche Braut und Frau geworden.

Manche wollen sogar Nachts zwei weiße Jungfrauen, mit Schlüsselbunden am Gürtel, vom alten Schlosse herab nach dem kleinen Teiche an der Straße, die von Schweina nach Liebenstein führt, erblickt haben, in welchem Teiche die Jungfrauen sich dann gebadet. In früher Zeit, als das neue Schloß im Dorfe Liebenstein selbst noch von einer Adelsfamilie bewohnt war, zeigte sich in demselben eine schleierweiße Ahnfrau jedesmal, wenn in dieser Familie ein Todesfall eintreten sollte. – In der Grotte am Erdfall, in welche Felsengänge tief in den Berg hinein führen, giebt es Wasserjungfern, die tief unter der Erde ihre krystallenen Wohnungen haben, und durch meilenweite Gänge mit verrufenen Berghöhlen und Nixenflüssen in Verbindung stehen.

Zu einer Zeit hörten ein Paar Liebensteiner Männer, daß ein Schatz droben in der Ruine stehe, den ein Geist bewache. Da legten sie Geld zusammen, und holten drüben

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/269&oldid=- (Version vom 1.8.2018)