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einem Dorfwirthshause am Fuße des großen Hermannsberges, wahrscheinlich Schönau, sagte der Wirth seiner Magd, weil sie schläfrig war, und Abends am Spinnrocken einnickte, sie solle hinauf auf den Hermannsberg gehen, und dort Wein holen, weil doch droben in dem Ritterkeller, ganz wie im Singerberge und im Ringelsteine, Fässer voll steinalten Weins lägen. Das Mädchen befolgt schlaftrunken den Befehl ihres Herrn, sie geht, sie empfängt Wein, und weiß nicht wie? Dem Herrn war’s nur ein Scherz gewesen – er und seine Gäste sind ganz erstaunt, als nach langem außenbleiben die Dirne mit Wein zurückkehrt. Der Wein wurde gekostet, er war uralt und schwer, und brannte wie Fegefeuer. Einst ging ein Wanderer, von einem Führer geleitet, über die Trift von Steinbach-Hallenberg nach Mehlis zu, zwischen dem Hermannsberge und dem Berge, welcher das Triegelloch heißt. Trigel (Trügel) ist ein Name der Wichtlein und Erdzwerge, der die neckische, meist täuschende und unzuverlässige Seite ihres Charakters zeigt – und die kaum irgend in der Nähe solcher Wunderberge, Fegefeuersitze und mythischer Hochgipfel fehlen – dem begegnete eine Gestalt wie ein Mensch, die stumm an ihm und dem Führer vorüberschritt. Sie hatte kein Gesicht. Es war ein Märzmorgen und hatte frisch geschneit; die Gestalt aber hatte in dem Schnee keinerlei Fußtapfen zurückge lassen. –

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)