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Die Häckelweiber.

Im Godaminteiche und im Crinnelsloche – beide sind in der Nähe des Dorfes Oelsen zwischen Saalfeld und Ranis – leben Wassernixen, die vorzüglich den Kindern gefährlich sind, wenn sie diesen Stellen zu nahe kommen. Die Mütter warnen noch jetzt ihre Kleinen mit den Worten: Geht nicht so nahe an das Wasser, sonst ziehen euch die Häckelweiber hinein. Diese Benennung deutet auffallend nach dem Hackelmärz der Sage 23, Seite 36. Auf den Wiesen, die an den Godaminteich und an das Crinnelsloch grenzen, breiten diese Nixen, besonders um die Mittagszeit, ihre blendendweiße Wäsche aus, tanzen Kreiseltänze und singen mit lieblichen Tönen dazu nach ihren eigenen Weisen. Oft wurden in frühern Zeiten die Anwohner jener Gegend getäuscht durch den Nixengesang, liefen hinzu, und wurden zuweilen in die Tiefe hinunter gezogen. Das Crinnelsloch besonders soll unergründlich sein. Als man einst, um seine Tiefe zu untersuchen, einen Wiesebaum hineinstieß, so sank derselbe unter und kam einige Zeit darauf im Dorfteiche zu Oelsen wieder zum Vorschein.

In uralter Zeit soll auch in dem bekannten Crinnelsloche eine weise Frau mit grauen Haaren gewohnt haben. Sie war mit zwei Ketten angeschlossen. Die Bewohner der Umgegend kamen zu ihr und fragten bei wichtigen Angelegenheiten dieselbe um Rath. Auf dem großen Steine, der vor dem Eingang zum Loche, oder zur Grotte liegt, wurden der weisen Frau vor Sonnenaufgang von denen, die Rath begehrten, Speisen hingesetzt.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/182&oldid=- (Version vom 1.8.2018)