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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

beschränken. Die Moderne hat Sp. jedenfalls im Theater am bereitwilligsten angenommen. Bequem war sie ihm zwar auch da nicht, namentlich traute er manchem großen Dichter Neu-Berlins nicht über den Weg. Und dann wieder war er förmlich froh, wenn er von der Leber weg loben konnte, etwa Hauptmanns »Hannele«; konnte sich aber dabei doch eines Kraftwortes aus mehr hahnebüchener Zeit nicht enthalten, das ich aus dem Gedächtnis zitiere: »Und so ist auf dem Misthaufen doch noch eine schöne Blume erwachsen.« Gar manche Bemerkung in Gesprächen über dieses Thema ließ deutlich erkennen, daß er den Neuen viel Glück wünschte, insbesondere aber, wie er einmal auch ausdrücklich sagte, viel Talent. »Das Burgtheater, das zwischen Vergangenheit und Zukunft unentschieden schwebt«, war doch eine seiner Lebenssorgen, und er war schon zu alt, um Rat zu wissen. Er freute sich noch der so ganz anderen Leistungen eines Mitterwurzer, die von einem Teile der Kritik Fall für Fall vernichtet wurden. Die Sympathischen sagten dann: »Die beiden Ludwige« (mit dem anderen war meine Wenigkeit gemeint) »haben wieder das Ihrige getan.« Für Ibsen, den man im Burgtheater lange nur mit Vorsicht genoß und mehr mit seinen altmodischeren Sachen aufführte, hätte er gerne Lanzen gebrochen. In den stärksten Worten sprach er für die »Gespenster«, als sie noch allgemein für eine Schrecklichkeit ohnegleichen galten. »Ibsen gehört zu den Geistern, die nach den Wurzeln der Dinge graben und sie zugleich zu einer Höhe wachsen lassen, wohin keine Wirklichkeit reicht.« (Zu John Gabriel Borkman.) Und er schrieb es auch klipp und klar hin, daß die Zeit ihr Drama haben will. Das Burgtheater hat die »edlere Aufgabe, in die merkwürdige Phantasiewelt eines nicht mehr abzuweisenden Dichters einzuführen«. Nicht mehr abzuweisend. Das konnte nicht mehr das Programm eines Lebenden sein, ist aber das Vermächtnis eines Toten. Sp. hatte sich für die Moderne entschieden.

Sp. als Kritiker, das ist ein anziehendes Problem, aber nicht nach dem Einmaleins auszurechnen. Es mag schon etwas daran sein, was Jakob Minor nach seinem Tode schrieb: er sei kein Kritiker gewesen, sondern Schriftsteller. Eine starke vollsaftige Persönlichkeit, die annahm oder abwies, was ihr genehm oder ungenehm war. Ich kann nicht anders, als ich kann. Objektiv oder subjektiv (ich übersetze: sachlich oder ichlich), das sind leere Worte. Ich leugne überhaupt jede objektive Kritik. Es kann höchstens den Willen dazu geben, die Absicht. Ich sage nicht einmal: die gute Absicht, denn warum gut? Meinem Ich gemäß, das ist das einzig in der Natur begründete. Auch mit sachlichsten Absichten wird das Werk auf jedes Ich nach Maßgabe seiner Ichlichkeit wirken. Und zwar, wie dieses Ich gerade in dem Augenblick gestimmt ist. Von zehn zu zehn Lebensjahren immer anders, auf den Verliebten anders als auf den silbernen Hochzeiter. Wenn zehn Landschafter das nämliche Motiv malen, werden zehn verschiedene Landschaften daraus. Auch Lessing konnte die Stücke von x oder y, die er kritisierte, nur lessingisch empfinden. Ist vollends eine Natur gewohnt, sich durchzusetzen, Recht zu behalten, wie der Großkritiker einer künstlerischen Großstadt, so ist er seine eigene kritische Rechtsquelle. Wer kann wider ihn? Er ist der Klügere, Wissendere, Feinfühligere, er ist der Suggestivste von allen, die eine Meinung äußern. Die Wiener Kritik hatte in der Blüte der Speidelzeit, von 1875 etwa bis 1895, eine Art Heroenzeitalter. Ein

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)