Seite:Ludwig Speidel, Schriftsteller.pdf/17

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

souveräner kritischer Geist gab den Ton an. Selbst zahmere Kritiker versuchten mit Blut zu schreiben. Im Jahre 1880, als ich mit ihm bei den Münchner Mustergastspielen war, sah ich es aus nächster Nähe, wie für das Theater »in Wien gutes und schlechtes Wetter gemacht« wurde. In einem Briefe an seine Frau (7. Juli) schreibt er: »während ich wegen meines aufrichtigen Urteils in München vielfach verwünscht werde«. Sie waren draußen eine weit konventionellere Kritik gewohnt. Bei ihm war es noch immer die scharfe Frische, die durch die Kaulbachsche Erziehung gegangen war. Von der erwähnten »Verwienerung« keine Spur. Im Gegenteil, schwäbische Derbheit blieb bis ans Ende der Kern seines Wesens. Sie ist aus ihm so wenig hinwegzudenken, wie aus dem V-Vischer, und bei beiden vertrug sie sich ganz gut mit weichem Gemüt und warmem Herzen. Auch war dieser Kulturmensch von allen Feinheiten bis ans Ende ein Stück Volk. Hartnäckig in seinen Neigungen und Abneigungen, und dann wieder kinderleicht herumzukriegen, durch eine Naivität, die ihm einging, oder auch durch eine Schlauheit, die ihn zu fassen wußte. Das Kapitel vom persönlichen Moment ist bei ihm lang, aber das Gegenteil von unrühmlich. Schwabenvolk, schwabenstreichefähig, der Naturbursche in ihm nie ganz auszurotten. Hatte er doch das Vorrecht, nie einen Frack anzuziehen. Er behandelte selbst die Mode, wie es ihm paßte. Er trug seine eigene schwarze schmale Halsbinde im Matrosenknoten geschlungen und frei herabhängend. Und hatte seinen Spaß an Schwänken, über die seinesgleichen hoch erhaben zu sein pflegt. Was konnte er noch mit weißen Haaren über eine populäre Schnurre aus der Jugendzeit lachen, wenn er mir sie erzählte. Zum Beispiel: »Blaue Hosen sein schie; wenn’s regn’t, wer’ns grie.« Und hielt sich den Bauch. Ein anderer Zug: sein Verhältnis zu seinem Kater »Tristan«, einem wunderbaren Tier, das einem seiner vielen nächtlichen Abenteuer zum Opfer fiel. Sp. beweinte ihn wie einen Menschen. Er erinnert mich an Anselm Feuerbach und seinen geliebten Kater »Merlin«. In einem Briefe an seine Mutter kündigt er seine Heimkehr mit den Worten an: »Freitag bin ich bei Merlin.« (Allgeyer II. 269.) So war Sp. Einfalt war in ihm und Weisheit; ein mannhafter Mann und ein kindliches Kind. Man brauchte ihn bloß lachen zu hören, hellauf, mit Silberklang, über ganz harmlose Sachen, in denen er augenscheinlich mehr Kitzliges spürte als gewöhnliche Zwerchfellmenschen, und man ahnte sofort, daß er »auch Einer« war. Ein »Eigener«, der gar nie unrecht haben konnte, weil man von ihm nicht verlangen konnte, daß er sich einen fremden Gesichtswinkel ins Auge setze.

Überhaupt ist er eine der schlagendsten Widerlegungen der selbst von Kritikern geäußerten Ansicht, daß die Kritik an sich schon tiefer stehe als die »Produktion«. Das hängt eben vom Wert des Kritikers ab. Eine Sp.sche Kritik über ein Mosenthalsches Machwerk konnte ein Meisterwerk sein. Wer war nun der Produktive, Sp. oder Mosenthal? Unter den Handwerkern der Feder ist dieses Vorurteil eingerissen: X schreibt ja bloß über das, was Y schon geschrieben hat. Selbst in der Einleitung einer der jüngsten Literaturgeschichten glaubt Verfasser den »Produzierenden« gegenüber so bescheiden sein zu müssen. Mir schwebt bei dem Thema immer ein Bild vor: der geniale Kritiker, der über die Schöpfung eines anderen schreibt, ist wie Makart, der aus einem kostbaren Goldbrokatstoff ein

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)