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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

Spatzen eine Rührung. Zu seinem Leichenbegängnis ging Sp. natürlich nicht. Er ging überhaupt mit keinem Toten. Er haßte den Tod und wollte nichts von ihm hören. Wie Goethe, der nicht einmal zu bewegen war, die Leiche Schillers anzuschauen. Dann aber kam wohl ein Augenblick, da erwies er dem Toten die letzte Ehre in seiner Weise. Trat unangemeldet an sein Grab, der Stein und der Name darauf gleich unscheinbar, und schrieb über den Mann … eine Wiener Stimmungslandschaft. »Auf freier Höhe« heißt das wunderliebe Spazierfeuilleton, dessen Ziel der idyllenhafte Friedhof auf der Türkenschanze ist. An Porges’ Grabe setzt er sich und spricht lange mit ihm, als wären sie noch beide lebendig oder schon beide tot. »Er war, wie die Schrift sagt, ein gerechter Israeliter.« Und zuletzt: »Ich könnte ihn nennen, aber wozu? Er war ein bescheidener Journalist. Ich ehre seine Bescheidenheit, indem ich ihn nicht nenne.« Ein gefaßtes, stilles Gedenken, eine Gegenwart, die von einer Abwesenheit durchdrungen ist. Manchmal mehr nekrologisch gefärbt, aber doch immer mehr am inneren, privaten Menschen haftend, aus ihm heraus spinnend. Man denke an die Feuilletons über den Bildhauer Heinrich Natter, die treue Seele, über den musikgelehrten Kauz Gustav Nottebohm, über Anselm Feuerbach, den Satiriker Daniel Spitzer. Manchmal nekrologisierte er sie gleichsam schon zu Lebzeiten, gleich büschelweise: »Ein Wiener Stammtisch« (im alten »Winterbierhaus«), oder in peripatetischer Sommerlichkeit in einer jener geschriebenen Landpartien um den Kahlenberg herum: »Auf der Höhe von Liesing« (Mai 1872), wo ihn eine Menge Freunde oder Zeitgenossen unsichtbar begleiten: Finanzminister Brestl, Bernhard Scholz, Martin Greif, Johannes Ziegler, Ludwig Steub, jeder mit unverkennbaren Lebenszeichen sich kundgebend. Er war ja so ein Medium. Und auf dem »Liesinger Felsenkeller« versammelt er die Körperlosen um sich und tauscht mit ihnen »Biergedanken«. Er wird nicht müde, diese anmutigsten der denkbaren Hügel zu bewandern; nur Weinhügel können so in geistigem Reize schimmern. »Wer kennt nicht die Goldene Krone zu Gumpoldskirchen?« fragt er einmal in »Stilleben im Wienerwald«, einer novellistisch durchsetzten Feuilletonfolge aus früherer Zeit. Klassische Hügel und Täler. Mit noch ganz anderen alten Freunden durchstreift er sie oft. »Beethoven in Heiligenstadt« (noch 1907, jedenfalls variierter Neudruck), »Franz Schubert in der Höldrichsmühle« (Hinterbrühl bei Mödling). Beethoven ist überhaupt einer der Götter seines Lebens. »Beethovens äußere Erscheinung« ist so einer seiner Feiertagsartikel; kann es etwas Festlicheres geben, als sich Beethoven vorzustellen, wie er war und nun bleiben wird? Die Max Klingersche Vorstellung freilich ging ihm weniger ein. Wer so stark ist, daß er sich seinen eigenen Beethoven machen kann, dem gefällt der eines andern nicht. Klinger empfand den Menschen in Göttergestalt, Sp. den Gott in Menschengestalt. Er spürte auch das »Biedere« der Biederzeit in ihm und das war ihm nur noch ein menschlicher Reiz mehr. Das gewisse Altmodische (was ist denn archaisch anders?), das alle Heiligkeit hat; und für uns projiziert sich das eben chronologisch in die Biedermeierzeit hinein. Kein Wunder, daß gelegentlich einer den ganzen Sp. zu »bieder« sah und seine Vormärzlichkeit lobte. In einem der neuesten Jubiläumswerke über Wien wird gar festgestellt, er habe dergleichen »in Wielands Art geschildert«. Warum nicht gar!

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)