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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

schreibt. 1880 waren wir zusammen bei den berühmt gebliebenen Mustergastspielen in München. Dort schloß sich ihm besonders Wilhelm Trübner an, und er hatte auch eine Audienz beim Prinzen Karl. Er machte dann mit mir und meiner Schwester den Ausflug zum Spiel nach Oberammergau. (Das Feuilleton darüber schrieb er freilich erst zu nächsten Weihnachten.) Er war ein sehr bekömmlicher Reisegefährte und hatte eine Riesenfreude an der Natur. Am liebsten saß er auf dem Bock und genoß sie aus der »Kutscherperspektive«. Im Ettaler Bräustübel, wie auch auf den luftigen Sommerkellern der Theresienwiese hat er uns manche Stunde so recht auf Altmünchen gestimmt. Ich sehe ihn noch, wie er mit dem Daumen in den Maßkrug fährt und den Schaum herausschleudert. Und wie er den weißen Rettig kunstgerecht tranchiert, mit der Rettigmaschine natürlich, deren Spiraldrehung und die Entstehung der »unendlichen Kringel« einen feierlich kosmischen Unter- oder Übersinn bekam. In den Jahren 1883 und 1886 schrieb er aus Berlin über das Deutsche Theater, über eine Jubelausstellung. Seine anmutige Reiselaune macht übrigens seine Briefe an die Familie ungemein erquicklich. Und sie sind es so ohne Absicht. (»Kraft ist die Wurzel der Anmut«, schrieb er einst in jenem Aufsatz über Fanny Elßlers Bein.) Da heißt es an Frau Leontine: »Nicht wahr, die Ferne idealisiert und auf fünfzig Meilen bin ich ein ganz lieber Kerl? Ich werde Dich also nächsten Donnerstag entzaubern, wo ich mich Strohgasse 1 im dritten Stock einfinde.« (Ulm, 24. Juli 1872.) Und an eine jüngere Dame, eigens als Postskriptum: »Du bist ein gutes Mädchen, aber dumm vor lauter Gescheitheit. Das Alter wird das bessern und Du wirst gescheit werden vor lauter Dummheit.«

Über den Stil Sp.s ist nach allem Bisherigen weiter wenig zu sagen. Er ist einfach, sinnlich und deutsch. Es ist keinerlei Geflunker und Gekräusel daran, alles soll in seiner natürlichen, wie selbstverständlichen Form gesagt sein, ohne Zuviel noch Zuwenig. Ohne wirksame Geberde oder aufgepflanzte Körperhaltung, ohne Rednerei und papiernen Schnörkel. Der innere Reichtum schwellt die Form, sprengt sie aber nie. In seinen besten Sachen steckt immer viel mehr, als gesagt ist. Man kann seinen Worten nachhängen, an seinem kurzen Garn noch lang weiterspinnen. Kürze nämlich ist bei solcher Artung sein natürliches Maß. Wie er keine langen Reden hält, sondern lieber epigrammweise mit schlagenden Bemerkungen, Meinungen, Urteilen in das Gespräch eingreift, so hat er sich auch im Schreiben nicht auf den langen Atem trainiert. Wie kein Dauerredner, so kein Dauerschreiber. Und in der Handschrift sahen seine Aufsätze noch weit lakonischer aus. Auf ein Oktavblättchen schrieb er ein sechsspaltiges Feuilleton, mit einer nervigen, aber winzigen Schrift, die nach unten hin immer mikroskopischer wurde. Sein großer Essay über das Theater für das Gedenkbuch »Wien« macht im Manuskript sechs kleine Quartseiten. Diese knappe Feder kam sichtlich aus der Sphäre Lessing-Börne. Mit französischer Schulung, wie gelegentlich gesagt worden, hatte sie nichts zu tun. Er war von Grund aus deutsch. Deutsch wie unsere großen Klassiker auch darin, daß dichterische Einbildungskraft und denkerische Grübelkraft ihm aus gemeinsamer Wurzel kamen. Er faßte ganz begriffliche Werte in so sinnliche Formeln, daß der Geist dem Leser wie materialisiert entgegentrat. Es war, wie Alfred

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)