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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

von Berger treffend bemerkt, als gebrauche er die deutschen Wörter nach ihrer »Urbedeutung«, nach dem ersten, tiefsten Sinne, den sie von Natur aus haben, der aber jetzt durch Gebräuchlichkeiten verschleiert ist. Wobei übrigens zu merken, daß er keineswegs »germanistisch« schrieb. Die meisten hielten ihn für einen gewiegten Germanisten; so tiefes Sprachempfinden schien aus der Fachschule kommen zu müssen. Aber er war nichts weniger als so ein Schuldeutscher. Sein Deutsch war das einer genialen Triebnatur, eines Germanisten, wie das Volk einer ist. Dabei hing sein Sprachwesen stark nach der Vergangenheit über. Luther, Hans Sachs, Lessing, Goethe, Hamann, die Ehrenfesten des achtzehnten Jahrhunderts überhaupt, das war seine Akademie für deutsche Sprache. Bezeichnend genug, daß der Magus aus Norden zeitlebens einer seiner Lieblingsschriftsteller blieb. Daran ließ sich so gut kauen, nämlich wenn einer die Zähne dazu hatte. Er hat in diesen dunklen Büchern gelebt und mit ihren Rätseln so lange getändelt, bis er Lösungen fand; immer andere Lösungen, denn das ist ja gerade der Reiz des Unlösbaren, daß es ins Unendliche lösbar ist. Solche Zimmergymnastik mit Zentnergewichten[WS 1] ist auch deutsch. Er hatte in seiner Bücherei zwei alte Hamannausgaben. Die kleine mit den vielen gelben Bändchen war ihm die liebste. Auch wenn er so an einer seiner langwierigen Venenentzündungen daniederlag, ließ er sich immer wieder so ein gelbes Bändchen ins Bett reichen. Das war ihm liebe Erbauung. Den Damen des Hauses war das alles schon geläufig. Überhaupt nahmen sie an seinem geistigen Leben den regsten Anteil und waren ihm »Hilfen«, mit Ibsen zu reden. Sie waren ihm ein Widerhall, den er brauchte und oft suchte. Etwa wenn er mit einem Bändchen Goethe seiner Frau bis in die Küche nachlief und keine Ruhe gab: »Hör einmal, was er da wieder sagt.« Auch dieser Goethe war übrigens so eine mächtig lange Reihe niedlicher Bändchen, in altem Originaleinband von violettem Leder mit gelbem Schnitt. Alle diese Bücher waren ihm ans Herz gewachsen. In einem Goethebändchen stieß ich einmal auf ein getrocknetes Pflänzlein. »Ach, das ist Gingo biloba,« hieß es. Sp. spazierte gern im nahen botanischen Garten und war entzückt, als er auf einem der weißen Täfelchen bei einem unscheinbaren Kräutlein den Namen »Gingo biloba L.« las. So heißt auch ein reizendes Gedichtchen Goethes. Er nahm die kleine Gingo heim und legte sie ins Büchlein zu dem Liede, das Goethe ihr gesungen. So lebte er in Poesie, ohne daß die vielen es ahnten. Sehr bezeichnend ist auch, daß nach seinem Tode ein Zettel gefunden wurde, und dann anderswo wieder einer, auf die er, bereits den Tod erwartend, mit zittrigem Rotstift die altbiedern Verse geschrieben hatte:

Ob Sterben grausam ist, so bild’ ich mir doch ein,
Daß Lieblichers nicht ist, als schon gestorben sein. (Logau.)

Angesichts des Todes tröstete er sich mit dem Sprüchlein eines jener vergessenen deutschen Dichter, die ihm lieb waren. Er dürfte wohl der einzige Mensch in Wien gewesen sein, dem in seinen vorletzten Augenblicken gerade diese Logauschen Verse im Gemüt aufsteigen konnten.

Deutsch, der echte deutsche Hausvater, war Sp. auch in seiner Familie. Er heiratete 1858 Fräulein Leontine Ziegelmayer, Tochter eines Professors


  1. Vorlage: Zentnergerwichten
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/25&oldid=- (Version vom 1.8.2018)