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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

an der k. k. Ingenieurakademie. Sie starb am 6. Januar 1903, fast unerwartet. Daß er sie überleben würde, war nie einem in den Sinn gekommen. Bei ihrem Begräbnis war er selbst leidend und konnte sie nicht auf der letzten Fahrt geleiten. Er stand am Fenster hinter den Scheiben, und winkte ihr mit der Hand nach, ein Lebewohl, auf baldiges Wiedersehen vielmehr. Er war im Innersten erschüttert und von da an ein anderer Mensch. Sprechen durfte man mit ihm über solche Dinge nicht. Leontine Speidel war eine Frau von seltenen Eigenschaften, wie geboren, seine irdische Vorsehung zu sein. Es war die reinste Liebesheirat. Das bildschöne, tiefbrünette Mädchen, mit der hohen Gestalt und dem feurigen Temperament, wurde die tüchtigste Hausfrau, die lieb- und hilfreichste Gattin, Mutter. Ein starkes Gefühlswesen, mit elementaren Zu- und Abneigungen, eine energische Natur, die ihn zu seinem Besten disziplinierte und in ihrer Weise auch regierte. Alles, was den geistig Schaffenden an umweltlicher Sekkatur (auch Goethe gebraucht dieses Wort des 18. Jahrhunderts) zu bedrängen pflegt, nahm sie ihm in Bausch und Bogen ab. Unberührt sollte er wandeln von allem gesellschaftlichen Formelkram, materiellen Interessenzeug, von ehrenden Belästigungen, katzbuckelndem Zulauf, von allem, was Geldsache hieß, von allem, was der Begriff »Mensch mit Menschen« Unbequemes, in die Quere Kommendes, über die Hutschnur Gehendes in sich faßt. Frau Leontine war die Schwelle zu seiner Türe, und man mag sich denken, was das bedeutet bei dem allmächtigen Kritiker jener Zeiten. Sie war die unsichtbare Hand, die man nur aus den Ergebnissen ihres Waltens herausfühlte. Sie war das Rückgrat des Hauses, der Wille zum Zweck, gewissermaßen sogar die Verwalterin des Sp.schen Geistes. Sie konnte von diesem reichlich spenden oder das Almosen versagen. Aber ihre Liebe zu ihm wurde ihr zum Gewissen, vor dem sie verantworten konnte, wie sie mit seinem Pfunde wucherte. Alle, die sie gekannt, sind darin einig, daß sie ein unersetzlicher Schatz für ihn war. Das vorherbestimmte Korrektiv zu seiner genialen Bummelnatur; denn auch das Zeug, sich zu verbummeln, hatte er von Hause aus, als eine seiner Genialitäten. Zwei treffliche Töchter wuchsen heran, ganz in der Stimmung dieses Hauses. Die eine, Amrei, heiratete den Wiener Frauenarzt Dr. Adolf Hink, die andere, Leontine, war noch die aufopfernde Pflegerin des Vaters nach dem Tode der Mutter. Mit zärtlicherer Pietät ist auch ein Andenken nie gehütet worden.

Dieses System häuslicher Vorsehungen, das Sp. umgab, war auch die materielle Vorbedingung seiner Schaffensmöglichkeiten. Ein Hauptthema des Speidelmythos ist ja sein erbitterter Haß gegen alles Schreiben. Die Leute nannten das einfach »Faulheit«. Das ist bequem, aber nicht erschöpfend. In jüngeren Jahren war er sogar fleißig, vielseitig, allbereit. Erst später, als er ein wichtiges Kulturelement Wiens war, wurde sein klassisches Zeitlassen ein stadtbekanntes Naturphänomen. Die spezifische Schreibfaulheit (ich weiß nicht, ob die Psychiater sie schon unter ihre Typen von Abnormität aufgenommen haben) bekam nun bei ihm einen sittlichen Untergrund. Der strengste Kritiker war er gegen sich selbst. Nichts, was er schrieb, genügte ihm. »Könnt’ ich nur den Schmarrn in den Ofen werfen!« seufzte er, wenn er eben ein Feuilleton fertig gebracht hatte, das am nächsten Morgen das literarische Ereignis war. Dann sagte wohl Frau Leontine: »Was der

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/26&oldid=- (Version vom 1.8.2018)