Seite:Ludwig Speidel, Schriftsteller.pdf/27

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

Pintsch geschrieben hat, das ist geschrieben.« (»Pintsch« war ein Bernhard Scholzisches Zärtelwort und bezog sich auf die Löwenmähne Sp.s.) Zufrieden mit seiner Arbeit hat ihn nie einer gesehen. Wenn er etwas besonders Gutes geschrieben hatte, nahm er es eben hin, wie eine Fügung des Schicksals, die man stoisch zu tragen hat. In seiner vorletzten Zeit neckte er mich einmal leise, ob ich nun nicht auch ein Feuilleton zum Tausendjahrtag des Cervantes schreiben würde. Ich verneinte. Da sagte er wörtlich: »Über Cervantes zu schreiben ist sehr schwer. Man müßte ihn und seine ganze Zeit in sich lebendig haben. Nämlich etwas Gescheites zu schreiben. Das macht ja Feiglinge aus uns allen. Ich schreibe nichts. Es soll sich ein anderer blamieren.« Die Schadenfreude im voraus, mit der er dies sagte, war überaus nett. Er war immer vollbewußt der Verantwortlichkeit eines solchen Unternehmens. Aller blaue Dunst war ihm zuwider, das Nursotun der Leute, das Wortemachen um der Worte willen. »Das reiche Schaufenster vor dem leeren Laden« nannte er so eine Leistung. Manches kräftige Wort ist mir im Gedächtnis geblieben über Nichtkönner, die sich für Könner geben. »Dingelstedt hatte vom Dramatiker nichts als die Frechheit, sich für einen zu halten.« Solche Sätze fielen ihm aus dem Munde, ohne daß er eigentlich etwas Wesentliches sagen wollte. So ist auch die Abneigung gegen das Schreiben aus verschiedenen Ursachen genossen. Jedenfalls wurde sie ein chronischer Zustand, mit akuten Verschärfungen, die allen Mitteln trotzten. Auch Suggestion spielte dabei mit. Gerade um seine Blütezeit, noch die achtziger Jahre durch, herrschte in seinem Freundeskreise ein förmlicher Sport, eine Bravour des Nichtschreibens. Daniel Spitzer sagte mir offen: »Ich bin krank, wenn ich schreiben muß.« Auch einige andere des Stammtisches bei Gause waren große Nichtschreiber oder Schwerschreiber vor dem Herrn. Da fand Sp.s Anlage reichlich Nahrung; jeder Psychologe weiß, was das bedeutet. Schon in seiner Vollkraft kostete es ihn die höchste Überwindung, sich an den Schreibtisch zu setzen. Hatte er nur erst begonnen, so ging es ja und erstaunlich bald lag das Manuskript da, wie gestochen, ohne ein gestrichenes Wort. Immer schwerere Tage kamen. Das ganze Haus fieberte, wenn Papa zu schreiben hatte. Schon tags vorher richtete er seine ganze Lebensweise darauf ein. Der Arbeitstag selbst aber war ein kritischer erster Ordnung. Es wurde Nacht gemacht, die Lampe angezündet, die Türe verriegelt, kein Mäuschen durfte sich im Hause rühren. Zum Essen erschien er nicht, die Klausur war unverbrüchlich. Die Horchenden hörten ihn drinnen ächzen und stöhnen, auch wettern und im Käfig umherstürmen. Dann wurde es stiller, er schrieb. Gegen Abend ging seine Türe auf, er erschien. Man begrüßte ihn wie einen Operierten, der endlich das Sanatorium verläßt, der Alp wich vom Hause. Er hatte wiederum sein Bestes geleistet, aber er wandte sich mit Abscheu davon. Es gibt auch junge Mütter, die ihr Neugebornes nicht ansehen können. Ludwig Bösendorfer erzählte mir, wie er ihm oft ganze Feuilletons mehrere Wochen, ehe er sich zum Niederschreiben entschloß, auswendig hergesagt habe, bis auf das letzte i-Tüpfelchen. Er war eine Natur, wie die alten Philosophen, die mit ihren Jünglingen im Haine des Akademos oder in der Stoa wandelten, oder auch vor ihrem Diogenesfaß in der Sonne lagen und zwanglos disputierten. Mochte dann irgend ein Plato ihre Worte nachträglich aufschreiben,

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)