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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

sie selbst rührten keine Feder an. So einer war Sp. Mehrere Eckermänner hätten um ihn reichlich zu tun gehabt. Im Alter wurde dann dieser Zustand zur wirklichen Krankheit. Eine Idiosynkrasie, wie sie im Buche steht, bildete sich aus, er konnte wirklich nicht mehr. Seine Redaktionen drängten, boten Schlauheiten auf, führten Handstreiche aus, es nutzte nichts. Er schloß sich wohl wieder ein, das Blatt Papier vor sich, und saß stundenlang davor, in Tränen. Wenn die Türe aufging, war keine Zeile geschrieben. Man machte sogar Miene, ihm das übel zu nehmen. Warum? Wie viele Menschen schreiben denn noch mit 72, 74, 76 Jahren? Warum sollte gerade er es sein? Eine Zeile von seiner Hand war in diesen Jahren schon eine solche Rarität, daß ich es für besonders zarte Aufmerksamkeit nehmen mußte, als er einmal eigens für mich ein Epigramm abschrieb, das er für das Stammbuch der Tochter des Hofschauspielers Konrad Löwe verfaßt hatte. Denn schon das Abschreiben war ihm schrecklich. Klassisch dafür ist der Fall bei seinem 70. Geburtstag. Dieser wurde festlich begangen, die Redaktion der »Neuen Freien Presse« gab ein Festmahl im Hotel Continental, auch ein Speidel-Festblatt erschien dazu (15. April 1900). Und von fernher kamen Grüße, ja Huldigungen. Die bekannte deutsche Weinkolonie in Griechenland, »Achaia« bei Patras, auch »Gutland« geheißen, schickte ihm damals eine Kiste voll ihres edelsten Mavrodaphne. Er freute sich und schrieb ein langes, wirklich schönes Dankgedicht in achtzeiligen Stanzen. Ich habe es im Entwurf gelesen. Denn es abzuschreiben und abzusenden, dazu brachte der Poet den Entschluß doch nicht auf. Erst Jahre später, als ich in Achaja war und in einem Feuilleton über den Mavrodaphne diesen Fall Sp. erzählte, wurde das Gedicht wieder hervorgesucht und »sollte« endlich ins Reine und auf die Post gebracht werden. Aber es kam wieder nicht dazu.

Man kann sich vorstellen, welche Anstrengungen es seiner Umgebung kostete, ihn dahin zu bringen, daß er zugesagte größere Beiträge zu hervorragenden Veröffentlichungen wirklich verfaßte. Die betreffenden Redakteure erzählen Abenteuerliches. Förmliche Verschwörungen der Freunde und der Familie fanden statt, um ihn physisch und moralisch herumzukriegen. So entstanden die erwähnten großen gehaltvollen Essays: »Theater« in dem Jubiläumswerke »Wien 1848–1888« und »Das Wiener Theater« in dem bekannten Quellenwerk »Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild«. Wie erwähnt, schrieb er auch zu Rahls athenischem Fries die Einleitung. Auch in dem mit Hugo Wittmann herausgegebenen Buche: »Bilder aus der Schillerzeit« (Stuttgart, Spemann) war sein Beitrag nur das erste Kapitel. Desgleichen zu dem Büchlein: »Kleine Schriften von Heinrich Natter.« An diesem hatte ihn die naive Natürlichkeit des schreibenden Bildhauers und Tiroler Kernmenschen gereizt, so daß er ein Natter-Feuilleton als Vorwort beifügte. An Versuchen, ihn zur Herausgabe seiner Schriften oder einer Auswahl zu bewegen, hat es natürlich nicht gefehlt. Der Hauptgrund, daß er es nicht tat, war doch eigentlich, daß er darin seiner Familie ein verwertbares Vermächtnis vorbehielt, das er nicht erst durch vorzeitige Antastung schwächen mochte. Frau Leontine barg das alles ergeben in der großen alten Truhe und ließ die Zukunft herankommen.

Ein Konservativer war Sp. auch in seinen Freundschaften. Einige dieser

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/28&oldid=- (Version vom 1.8.2018)