Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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Vorzeit – nach 16 Jahrhunderten des Kriegs und der Zerstörung Staunen und Bewunderung jedes Beschauers erweckend. Das Thor ist aus Marmorfelsblöcken von so ungeheurer Größe gewölbt, die Wölbung selbst ist von solcher Kühnheit, die Arbeit so vortrefflich, daß man nicht begreift, wie Menschenhände solches Werk aufrichten konnten. Und wenn nach künftigen Jahrtausenden selbst die Wunderbauten der Akropolis bis zur letzten Spur verschwunden sind, dieses Thor wird noch der erstaunten Nachwelt sagen, wo Athen gestanden. –
Die Hügel außerhalb der Stadtmauern waren mit großartigen Werken der Baukunst, meistens öffentlichen Zwecken geweiht, gekrönt. Die alten Philosophen und akademischen Lehrer pflegten sich bekanntlich nicht in dumpfige Hörsäle einzuschließen, sondern hielten sich am liebsten im Freien auf. Sie lehrten unter freiem Himmel, auf mit Säulenhallen zum Schutz gegen üble Witterung umgebenen anmuthigen Hügeln. Ein solcher war die berühmte Akademie, wo Plato lehrte, das Lyceum, wo Aristoteles Weisheit vortrug, der Hügel des Cynosarges, des Stifters der Cynischen Schule und andere mehre. – Andere Partien der reizenden Umgebungen der Stadt dienten zu politischen Versammlungen und waren mit angemessenen Gebäuden im erhabensten Style geziert. Hierher gehören der Hügel des Areopagus, (jetzt der Begräbnißplatz der Türken) wo der oberste Rath der Richter seine Entscheidungen aussprach; das Haus des Senats, das Pyrtaneum, der Pnyx, eine Anhöhe, auf welcher das freie Volk von Athen seine Urversammlungen hielt und rathschlagte. Von allen diesen Gebäuden und Hallen sind nichts oder nur halb vergrabene, aus Gestrüpp und Dornen hervorragende, zerschlagene Säulen und Fragmente von den verschiedensten Bildhauerarbeiten, die zu ihrer Verzierung dienten, übrig; von vielen ist selbst der Ort, wo sie gestanden, ungewiß. Am besten erhalten ist der Pnyx, der Versammlungsort des Volks. Noch sieht man den im Fels gehauenen Rednerstuhl, die Sitze der Schreiber, und an den Enden die Sitze derjenigen Beamten, welche Stillschweigen geboten und über Anstand und Ordnung bei den Berathungen zu wachen hatten. Keins aller übrigen Denkmäler des Alterthums außerhalb der Stadtmauern fesselt aber so sehr das Auge und erregt Staunen und Bewunderung in solchem Grade, als die, einen Hügel ½ Stunde von der Stadt krönenden Trümmer des Tempels des olympischen Jupiter. Dieses weltberühmte Gebäude, der Stolz der Athener und das größte Meisterwerk der Architektur, übertraf alle übrigen, das Parthenon selbst nicht ausgenommen, an Pracht und an Schönheit. Unermeßliche Summen wurden fünf Jahrhunderte hindurch (erst zur Zeit Hadrians wurde der Ausbau vollendet) auf seine Vergrößerung und Verschönerung verwendet. Es wurde getragen von 120 kanellirten Säulen aus parischem Marmor, jede 60 Fuß hoch und 6 Fuß im Durchmesser haltend. Den geheiligten Boden umzog eine Mauer aus Marmorblöcken, nach innen eine runde Säulenhalle von unendlicher Schönheit darstellend. Das ganze Gebäude hatte über eine halbe Stunde im Umfang. Auf seiner Zinne stand die berühmte Statue des olympischen Jupiters, 60 Fuß hoch, gleichfalls von Phidias aus Gold und Elfenbein gebildet. Das Innere des Tempels schmückten
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/101&oldid=- (Version vom 9.6.2024)