Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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Alexander schlug sie zu Boden. Thebens Zerstörung war dem unruhigen, immer unzufriedenen Griechenvolke ein Warnungsmal vor ähnlichen Versuchen, so lange Alexander lebte. Nach seinem Tode flackerte das Streben nach Freiheit abermals auf. Die meisten Städte Griechenlands vereinigten sich, im achäischen Bunde, zum Kriege gegen Macedonien, als dessen Beherrscher, der jüngere Philipp, im Kampfe mit Rom verwickelt war. Macedonien unterlag und wurde römische Provinz, der achäische Bund von den siegenden Römern anerkannt. Noch einmal genossen die Griechen der Freiheit; aber sie waren ihrer nicht länger würdig. Den Heldencharakter des Volks hatten Luxus, Verweichlichung, die Laster des Orients, die es auf seinen Kriegszügen kennen gelernt und bis zur höchsten Verfeinerung gepflegt hatte, bis auf wenige Spuren verwischt. Verrätherei und Treulosigkeit gaben den mächtigen Römern bald herrschenden Einfluß in allen Angelegenheiten und Händeln der Griechischen Staaten unter sich und mit dem Auslande. Die Römer, dem Namen nach Bundesgenossen, spielten die Diktatoren. Zu spät erkannten jetzt die Hellenen den Abgrund, in den sie versunken. Zum letztenmale auf 2 Jahrtausende entflammete der alte Geist – das kleine Hellas erhob den Schild gegen das allmächtige Rom. Aber die alte Kraft, die solchem Kampfe eine Möglichkeit des Gelingens geben konnte, war längst dahin. Die Verbündeten, in Corinth eingeschlossen, erlagen der Uebermacht; sie fielen unter dem Schwerdte der Ueberwinder; das herrliche Corinth selbst ging in Flammen auf. Griechenland versank in römische Knechtschaft und sogar sein Name erlosch. Es wurde, unter dem Namen Achaja, eine römische Präfektur.
Hellas hatte politisch aufgehört zu seyn; aber griechische Kunst und griechisches Wissen eroberten jetzt auf den Fittigen des römischen Adlers die Welt. Das Volk der Griechen, das entartete, kroch vor seinen Ueberwindern demüthig im Staube; aber vor dem Throne der Hellenischen Wissenschaft und Kunst beugten die stolzen Sieger das Haupt. Sie verschmäheten es nicht, Schüler der Besiegten zu werden und römische Imperatoren kamen und hörten in den Hörsälen der Philosophen zu Athen die Lehren des Plato und Aristoteles. Von den zahllosen Kunstschätzen wanderten viele, als Weihgeschenke, oder als Trophäen, nach Rom, und von da in die Provinzen des römischen Westens, überall lehrend, bildend, Nacheiferung erweckend. Die griechische Sprache wurde römische Hofsprache, ihre Kenntniß dadurch allen Gebildeten Bedürfniß, und eben dadurch Geschmack an griechischer Literatur überall geweckt und genährt. Athen war zur Hochschule des Wissens für das römische Weltreich geworden. Als solche erhob es sich noch einmal, unter Hadrian und den beiden Antoninen, in Herrlichkeit. – Aber diese verging schnell und nun für immer, als die Glorie des Römerreichs selbst zu erbleichen anfing, in deren Strahlen Athen allein noch glänzen konnte. Der gänzliche Verfall der Sitten und der Kunst in Italien, die sich von da an datirende Unfähigkeit, Höheres selbst hervorzubringen, veranlaßte Verschleppungen der herrlichsten athenischen Denkmäler im Großen, und die spätere Ausschmückung Constantinopels, (nachdem es Kaiserresidenz geworden), mit den Werken griechischer Kunst, half die Plünderung vollenden. Die bald darauf folgenden
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/103&oldid=- (Version vom 9.6.2024)