Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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mehr Schimmer als Wirklichkeit, war. Er würde sehen, daß in den alten Staaten, selbst in jenen gepriesensten, ungeheure Laster, abscheuliche Mißbräuche hausten; daß das Volk mehr in einer herrschenden Kaste, als in einer wahren Gesammtheit bestand; daß die Regierungsgrundsätze barbarisch waren, daß die Völker mit gehässiger Eifersucht, ohne Achtung für Recht und Gerechtigkeit, einander gegenüber standen, wie Räuber und Mörder, ohne Sicherheitsgefühl und in unversöhnlichem Haß. Natur- und Menschenrechte waren unbekannte Begriffe. Fanatismus und grasser Aberglaube verderbten die rechtlose Politik vollends; ein Traum, eine Erscheinung, ein Orakel, eine Lüge eines elenden Betrügers im Priestergewande reichte hin, jeden Augenblick Kriege zu veranlassen, die die Menschheit erschütterten, Reiche und Völker verschlangen und das Glück vieler Millionen von Grund aus verderbten.
Noch sind zwar, leider! der Nationen viele von so großen Uebeln nicht befreit; selbst in unserem Welttheil gibt es noch Völker, an deren geistigen Regeneration der Denker verzweifelt: aber im Ganzen hat jener Uebel Wirkung sich doch sehr gemindert und die Erfahrung des Vergangenen ist nicht gänzlich verloren gewesen. Ein Chaos der Unwissenheit und Anarchie, Rückgang der Kenntnisse, Verlust der Erfahrung von Generation zu Generation, wie es im Mittelalter so viele Jahrhunderte bestanden, besteht nirgends mehr und ist, was erfreulicher ist, nicht mehr möglich. Seitdem die geheiligte Kunst, das Erlösungsgeschenk des allgütigen Weltgeistes, die Buchdruckerei, das Mittel darbietet, in einem Augenblick dieselbe Idee in allen Zungen Millionen Menschen mitzutheilen und sie so dauerhaft zu fixiren, daß die gesammte Macht aller Tyrannen und Lichtfeinde auf der Erde sie nicht vernichten kann; seitdem die Sprachen zweier großen, in der neuern Culturgeschichte der Menschheit oben an stehenden, politisch-freien Völker ein Gemeingut und Ideenaustauschmittel für fast alle Gebildete der Erde geworden sind, seitdem nähern sich von Tag zu Tag mehr und mehr die Geister, wird Uebereinstimmung im Denken und Handeln täglich entschiedener das Losungswort der Werkleute am herrlichen Bildungs-Bau der Menschheit und hat sich eine stets zunehmende Masse des Unterrichts, eine sich immer mehr ausdehnende Lichtatmosphäre von Kenntnissen gebildet, welche dem Geschlechte eine in alle Ewigkeit fortschreitende Veredlung verheißt.
Aber bedürfte es noch mehr, um alle Zweifel von dem gesicherten Fortschreiten der Menschheit auf der Bahn der Veredlung aus der Brust des Denkers zu verbannen, so genügt ein Blick auf die andere Hälfte der Erdkugel, auf Amerika.
„Dort stört nicht im Innern,
Zu lebendiger Zeit,
Unnützes Erinnern,
Und vergeblicher Streit,“
sagt Göthe[WS 1] so schön! Dort, wo, als Produkt der wahren Civilisation, die ewigen Gesetze der Natur die breiten, unverwüstlichen Grundlagen für den Weg bilden, auf dem die Menschheit dem Ziele der ewigen Vervollkommnung zustrebt,
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Den Vereinigten Staaten. In: Goethes Werke (WA), Band 5,1. Weimar 1893, S. 137 Internet Archive
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/173&oldid=- (Version vom 10.6.2024)