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Seite:Meyers Universum 1. Band 1. Auflage 1833.djvu/184

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Diktate wirksam zu machen, abgingen, so war es bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts doch immer noch sehr ansehnlich. Noch 1772 sandte Cadix für 66 Millionen Gulden europäische Waaren dorthin, und führte dagegen für 90 Millionen (an Gold und Silber allein für 60 Millionen) Erzeugnisse der transatlantischen Provinzen ein. Unter den Exporten aber befanden sich nur für etwa 2 Millionen spanische Waaren, meistens Quecksilber; das Uebrige waren Erzeugnisse der Fabriken des übrigen Europa’s; schlesische Leinen empfing und versendete es für mehr als 11 Millionen Gulden! Denn Spanien hatte längst aufgehört, selbst zu fabriziren; der arbeitsfähige Theil des Volkes trieb das DOLCE FAR NIENTE in den zahlreichen Klöstern, oder war nach Amerika ausgewandert, und so blieb am Ende von allen Schätzen Mexiko’s dem Mutterlande nichts, als die Provision der Cadixer Zwischenhändler. Die Milliarden, welche Amerika sendete, rollten ihm durch die Finger wie einem Kassierer; sie gingen und kamen; aber eigen waren sie ihm nicht. –

Indessen war die Lage von Cadix, so lange dieser Zustand dauerte, obschon weit entfernt an die Herrlichkeit früherer Zeit, als es in Sevilla 10,000 Seidenweberstühle für Amerika beschäftigte, zu erinnern, gegen die der andern Seestädte des unglücklichen Spaniens immer noch beneidenswerth. Den Todesstoß erhielt es erst durch den Abfall der südamerikanischen Kolonieen, ein Ereigniß, in welchem Spanien die Frucht der sorgfältig ausgestreuten Saat der Unterdrückung und Ungerechtigkeit reichlich erndtete. Seitdem die unabhängigen Freistaaten Südamerika’s, nach fast zwölfjährigem ruhmvollen Kampfe mit ihren alten Zwingherren, diese ausgetrieben und allen Verkehr mit dem Mutterlande abgebrochen und verboten haben, ist Cadix auf das geringfügige Geschäft mit der Havannah und den Philippinen und den Export der Produkte Andalusien’s beschränkt, welche zusammen kaum 12 Millionen Gulden Kapital beschäftigen. So geht Cadix, das vormals so reiche, mächtige, große Cadix, durch seine Lage zur Beherrscherin des Handels zweier Meere von der Natur bestimmt, unaufhaltsam seinem Verfall, seiner Verarmung entgegen. Der Hafen verschlämmt; Kayen, Dämme verfallen; die Magazine, welche einst die Produkte von drei Welttheilen in sich aufnahmen, sinken in Trümmer; die herrliche Bay, auf der die prunkvolle und furchtbare Seemacht eines einst allmächtigen Reichs umherschwamm, in der aus einem Wald von Masten die Flaggen aller Nationen flatterten, ist verödet; Registerschiffe und Gallionen, die das Gold und Silber Mexiko’s und Peru’s brachten, sieht man nicht mehr; es sind nur noch Namen der Erinnerung. Selbst das Meer scheint seine Angriffe gegen die alte Herrin zu verdoppeln. Einen Theil der Erdzunge, welche Cadix mit der Insel Leon verbindet, haben Sturmfluthen durchrissen und ein großer Theil der Festungswerke ist unterwaschen; ihr naher Einsturz bedroht ein Drittel der Stadt mit Ueberfluthung. In der großen, reinlichen Stadt, wo sich sonst wohlhabende, fleißige, glückliche Menschen drängten, finden kaum noch 50,000 ihr Brod, und darunter 10,000 Mönche und Bettler. Und was ist die Grundursache solches Verfalls? Zwei Worte geben Antwort: Pfaffenthum und Despotismus. –