Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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den Hellespont, Vertilgung den Hochmüthigen und der ganzen Stammverwandtschaft schwörend. Der persische Krieg hatte begonnen.
Mit ihm hebt die zweite der drei Hauptepochen der atheniensischen Geschichte an. Sie reicht von 584 bis 450 v. Chr. – bis auf Perikles. Es ist die Zeit der höchsten Gefahr, des höchsten Ruhms, der höchsten Glorie für Athen und ganz Hellas. – Es gibt gewiß überhaupt keinen erhebendern Anblick, als den eines kleinen Volkes, das mit Heldenmuth und Todesverachtung für sein köstlichstes Gut, die Freiheit, gegen äussere Uebermacht kämpft; aber im ganzen Laufe der Weltgeschichte zeigt kein Kampf dieser Art ein so ungeheures Mißverhältniß zwischen den Kräften der Streitenden, eine so erhabene Begeisterung, solche Ausdauer und Beständigkeit von Seiten der Schwächern und in keinem war an seine Entscheidung eine so unermeßliche Folgenreihe geknüpft. Was wären wir, was Europa jetzt, hätten die Perser gesiegt, die Pflanze der griechischen Kultur bei ihrem ersten Knospentreiben mit dem Volke selbst ausgerottet, und die Abendländer mit ihren Heeren überzogen? „Alsdann,“ sagt unübertrefflich der größte Historiker unserer Zeit, „hätte kein Phidias und kein Praxiteles den Marmor beseelt, kein Pindar hätte durch hohe Gesänge entzückt, kein Euripides süße Thränen entlockt. Kein Herodot, kein Xenophon hätte mit ferntönender Stimme große Thaten verkündet, kein Plato, kein Aristoteles hätten Schätze der Weisheit gegraben, kein Sokrates, kein Epaminondas durch hohe Tugend geglänzt. Die schönsten Vorbilder freier Verfassungen wären, bevor sie Früchte trugen, von der Erde verschwunden, und der damals noch rohe, wilde Römer – wäre er aufgekommen gegen die Persermacht – hätte keine Sänftigung durch der griechischen Muse Lied, keine Milde durch griechische Kunst und Wissenschaft und Sitte erhalten. Wohl hätte er dann die Erde erobern, aber nicht civilisiren mögen und – es wäre denn, daß ein freundliches Geschick auf einem ganz andern Wege, doch immer viel später, dieß Wunder gewirkt – selbst die neuere Kultur, die mit der alten, ungeachtet der zwischen Beiden gelegenen Nacht, durch so viele und so innige Bande zusammenhängt, wäre nicht entstanden. So Vieles lag daran, daß bei Marathon und bei Salamis und bei Platäa die Freiheit siegte.“
Aber auch, wäre gar kein Krieg der Perser gewesen – so setzen wir mit ihm hinzu, – hätte die gemeinsame Gefahr die Griechen nicht zur Vereinigung gezwungen, die Flamme der höchsten Begeisterung und der heldenmüthigsten Resignation alles Irdischen, des unbeugsamsten Selbstgefühls bei ihnen entzündet und jede menschliche Kraft in höchster Potenz entfaltet, dann hätten sie das Größte nicht geleistet und wohl nur langsam, vielleicht niemals, die Bahn des Ruhmes erfüllt, deren Schranken sich jetzt für sie aufthaten. – Sichtbar lenkte eine solche Verkettung der Umstände für den höchsten Zweck der Menschheit der Arm der ewigen Weisheit! –
Dem Heere des Darius, zur Züchtigung und Unterjochung Griechenlands gesendet, gingen Schrecken und Entsetzen voraus. Die Völker Thraciens, Macedoniens, Thessaliens unterwarfen sich – siegesstolz betraten die
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/97&oldid=- (Version vom 8.6.2024)