Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
|
Perser das kleine Attika. Widerstand mit Erfolg schien unmöglich; Furcht und Muthlosigkeit ergriff die hülflos preisgegebenen Gemeinden an den Marken; manche bot, Verderben abzuwenden, schon freiwillig zum Joch sich dar. In diesem kritischen Momente erhob sich Athen. Höchster Begeisterung voll, wenn Sieg nicht möglich, doch frei zu sterben entschlossen, zogen alle seine Bürger, 9000 an der Zahl aus, dem zwanzigmal stärkern Feinde, und, aller menschlichen Berechnung nach, dem sichern Tode entgegen. Das große Beispiel weckte in Platäa und andern Städten Attika’s gleichen Heldenmuth. Bei Marathon traf der Griechen kleine Schaar auf des Darius zahlloses Heer. Miltiades, der athenische Feldherr, griff die erstaunten Perser an und deren vollständige Niederlage bewies, daß die Gewalt hoher, feuriger Begeisterung zuweilen vermag, was der berechnende Verstand nie wagen darf; und die moralische Kraft undisciplinirter Haufen im Kriege gegen die physische Uebermacht wohltressirter Massen manchmal Wunder thun kann. – Der Sieg bei Marathon, der schönste den jemals ein Volk errungen und dessen Ruhm den Athenern fast ausschließlich gebührte, war der strahlende Anfang jener Reihe von Großthaten, welche die Griechen in ihrem ewig denkwürdigen, langen Kampfe mit den Persern verherrlicht haben. Seine erste Frucht war eine kurze Waffenruhe; doch war vorauszusehen, daß die Perser die Schmach der Niederlage furchtbar zu rächen mit um so größerer Macht wiederkommen würden. Bald wälzten sich auch die ungezählten Schaaren des Xerxes, Darius Nachfolgers, dräuend heran. Sieben Tage und Nächte währte der Zug der Krieger, welchen das große Reich gegen das kleine Griechenland aussendete, über die Brücke, die der Perserkönig über den Hellespont geschlagen; einen Monat dauerte der Zug des Trosses und Heergeräths. Eine ungeheure Flotte, größer als sie je das Meer getragen, folgte den Bewegungen der Landmacht. Nie, zu keiner Zeit, weder früher noch später, hat man wieder von einem solchen Zuge gehört, der groß genug schien, die Welt zu erobern, aber zu klein war, ein Heldenvolk, das für seine Freiheit in den Tod zu gehen bereit ist, zu unterjochen. Langsam ergoß er sich in die Fluren Thessaliens Verwüstung, Mord und Entsetzen, die Begleiter seiner Schritte. Am Oeta führt ein enger Gebirgspaß von Thessalien nach Attika; – die Thermopylen. Ich schweige von des Leonidas und seiner dreihundert Spartaner That, der für alle Zeiten gepriesenen, gethan an dieser Pforte des alten Hellas. Jeder weiß sie. O, ihre Wirkung war größer, als die des glorreichsten Sieges! Vergebens überschwemmten die Perser Hellas. Die Mauern seiner Städte mochten sie wohl brechen, aber nicht den Heldensinn des griechischen Volkes. Als großes Beispiel für alle in gleicher Lage faßten die berathschlagenden Bürger Athens den Entschluß, ihre Häuser, Tempel, die Gräber ihrer Vorfahren zu verlassen, sich aus der unhaltbaren Stadt auf ihre Schiffe zurückzuziehen und dort, mit den andern hellenischen Geschwadern vereinigt, zu berathen, was zur Rettung des Vaterlandes zu thun sei. Greise, Weiber und Kinder, die zurückblieben, dem Tode geweiht, wurden von den Persern erwürgt; Athen selbst verwüstet und verbrannt. Herrlich lohnte sich diese heldenmüthige Aufopferung den Griechen, unter Themistokles Leitung, durch den großen Seesieg bei
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/98&oldid=- (Version vom 8.6.2024)