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Seite:Meyers Universum 2. Band 6. Auflage 1835.djvu/123

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der grandiosesten Scenen in der Alpenwelt. Vom gegenüberliegenden Punkte steigt nämlich der berühmte Rhone-Gletscher, der größte und schönste der Schweiz, das Ziel so vieler Reisenden, wie ein krystallbepanzerter Riese glänzend und strahlend in das Thal hinab, und deutlich sieht man aus hohen Eisportalen den neugebornen Rhodan, einen kleinen Herkules in der Wiege, zwischen immergrünen Matten[1] dem Süden zurinnen.

Im Geiste möge der Leser ihm durch die mannichfaltigen, an den graußenvollsten, wie an den anmuthigsten und lachendsten Contrasten so reichen Ansichten seiner Gestade nachfolgen, von dem Eispalaste des ewigen Winters, seiner Wiege an, bis zu den reizenden Gefilden, wo der Oelbaum schattet, und duftende Myrthensträuche und Orangenbäume ein immerwährendes Frühlingsleben verkünden. –




LXXII. Brügge in Flandern.




Brügge, Hauptstadt der Provinz Westflandern, liegt etwa 4 Stunden vom Meere, zwischen Ostende und Ghent im Mittelpunkt von Kanälen, die es mit den meisten großen Städten Belgiens und Hollands verbinden. Dieser vortheilhaften Lage verdankt es die Erhaltung eines lebhaften Zwischenhandels mit belgischen und auswärtigen Produkten. Seine Fabriken beschäftigen etwa 4000 Menschen. Die bedeutendsten sind die in wollenen Stoffen. Jetzt hat der Ort, in 6000 Häusern, gegen 30,000 Einwohner.

Brügge war einst das große Entrepôt für den ganzen Handel des Nordens und Westens von Europa. Als die Venetianer des Weltverkehrs Zügel führten, in jenen Jahrhunderten, als die Schifffahrt so mangelhaft war, daß eine Reise aus der Ostsee nach dem Mittelländischen Meere und zurück in einem Jahre nicht gemacht werden konnte, bedurfte der Norden eines Zwischenmarkts, wo er seine Produkte gegen die Waaren Venedigs und Genuas vertauschte. Brügge, reich und groß, füllte dieß Bedürfniß aus und leitete dadurch die Quelle unermeßlichen Reichthums in seine Mauern. 30,000 Bürger kleidete es einst in ritterlichem Waffenschmuck, und bekannt ist, wie die stolze Königin Johanne, Gemahlin Philipps des Schönen von Frankreich, als sie hier verweilte, bei’m Anblick des


  1. Der Rhonequell ist kein Gletscherwasser, sondern ein tief unter dem Eise aus dem Innern des Gebirgs sich hervordrängender Brunnen von außerordentlicher Wassermenge und so bedeutender Wärme, daß der Bach, den er bildet, selbst mitten im Winter nicht zufriert.