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Seite:Meyers Universum 5. Band 1838.djvu/116

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Außerhalb des Orts, auf einem Hügel, liegt die Johanneskirche, und in der Nähe derselben ein räthselhaftes rundes Gebäude; beides Denkmäler der deutschen urältesten Baukunst. Hainburg, ein an der Donau gelegenes blühendes Städtchen von 4000 Einwohnern, ist der letzte deutsche Ort. Auch er war ein Vorwerk, eine Citadelle des alten Charnunts, wie die hier aufgefundenen Inschriften, die Ruinen eines Tempels und andere Denkmäler außer Zweifel stellen. Bei Hainburg mündet sich die March, die Grenze bezeichnend, in die Donau, über welche man eine entzückende Aussicht nach den grotesken, einer Insel gleich im Strome fußenden Felsenmassen, prangend mit den Ruinen Rotenstein und Theben, und nach dem fernen Presburger Schlosse genießt. Angezogen von dem frappanten Anblick jener prachtvollen Trümmer, verließen wir in Hainburg den Eilwagen, mietheten ein Bot und fuhren hinüber. Mühsam war das Ersteigen des steilen, das Plateau des Vorgebirgs senkrecht überragenden Felsens, auf dessem Scheitel die Thebener Ruine steht, von deren Zinnen eine herrliche, eine fast unbeschränkte Aussicht auf die deutsche Gebirgswelt und die ungarischen Ebenen und Hügel lohnt. Dicht zu unsern Füßen lag Presburg mit seinen vielen Thürmen und dem hohen, leider! nach dem letzten Brande noch großentheils in Ruinen liegenden Schlosse. Bald war die Fahrt dahin, zwischen anmuthigen Ufern und ohne einen Ort weiter zu berühren, vollendet, und wir befanden uns in der uralten, ungarischen Krönungsstadt.

Du weißt, daß es überall der Mensch ist, der mich am meisten interessirt, und wenn ich früher nicht gesehene Länder bereise, immer zuerst das Volk den Kreis meiner Beobachtungen ausfüllt. So war es auch hier. Ich war zum erstenmale in Ungarn; der Ungar war folglich das erste Ziel meines Forschens. – Der ächte Ungar geht in seinem Nationalkostüm; ist er von Adel, (Nemesch-Ember), dann nie ohne Sporen, und sollten’s auch nur zwei eiserne Zacken, oder Nägel, seyn. Oft sieht man Hirten, Ackerbauer und Tagelöhner mit diesen Abzeichen ritterlicher Abkunft; und wehe Dem, der an einen solchen die Hand zu einer thätlichen Züchtigung legte; denn von solcher ist der Edelmann gesetzlich befreit. – „Magyar ember vagoyk“ – ich bin ein Ungar!, im Tone stolzer Selbstgenügsamkeit gesprochen, hört der Fremde wohl zwanzigmal des Tages. Niemals nennt der Ungar seinen Herrscher Kaiser. Das Wort ist ihm ein Gräuel; er erkennt nur einen Magyar-Kiroly: König der Ungarn, an. Der Deutsche ist ihm verhaßt, besonders der Oesterreicher. Alle Westeuropäer nennt der gemeine Ungar Schwaben: der Franzose heißt Franken-Schwab, den Spanier Spaniol-Schwab u. s. w. Verächtlich sagt er von den Deutschen im Allgemeinen: „sie tragen Kamaschli.“ Er würde lieber sterben, als seine elenden, leinenen Unterhosen mit anständigen und warmen deutschen Beinkleidern vertauschen.

So einfach das Nationalkostüm (der Schaafpelz, leinene Hosen und Stiefel) am Bauer mit langen Haaren und den wilden Zügen sich ausnimmt, so prächtig erscheint’s, wenn es Rang und Reichthum adeln. Die Prachtsucht der ungarischen Großen in der Kleidung ist sprichwörtlich und verräth die morgenländische Abkunft.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/116&oldid=- (Version vom 27.8.2024)