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Seite:Meyers Universum 5. Band 1838.djvu/117

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Ich sah den Fürsten Esterhazy als Generalkapitain der ungarischen Leibgarde: sein Anzug kostete eine Million. Auf dem Kolpak prangte ein Reiherbusch von Diamanten, die Tiegerhaut ward durch eine brillantne Agraffe gehalten, die Juwelenverzierung der Beinkleider kostete 30,000 Gulden, der Perlenbesatz an jedem Stiefel hatte den Werth einer Grafschaft. Die Einkünfte des Fürsten übersteigen die vieler Könige; dennoch sitzt er in Schulden bis über die Ohren, und die meisten seiner Güter werden unter Controle der Gläubiger verwaltet. Seine Residenz ist Eisenstadt, wo er zwei Kompagnien Leibgrenadiere in Sold hat. Verschwendungslust ist übrigens dem ganzen hohen Adel Ungarns gemein, und wenige Familien entgehen ihren Folgen.

Der Palatinus, oder Vizekönig, steht an der Spitze des Reichs; aber Aemter, Würden, Belohnungen und Kapitalstrafen ertheilt der Kaiser durch die ungarische Hofkanzlei in Wien. Der hohe Adel verzehrt seine ungeheuern Einkünfte meist in Wien und kommt nur selten auf seine Güter. Die Entfernung und das Hofleben schwächen nothwendig dessen Theilnahme an den vaterländischen Interessen, und die österreichische Regierung hat vielleicht Gründe, es nicht anders zu wünschen. Aehnliche Motive zerstreuen die ungarischen Offiziere durch die ganze Arme. Die einheimischen Truppen, die besten und schönsten der Welt, werden von Offizieren aus allen Völkern kommandirt, und es ist nichts Seltenes, in der nämlichen Kompagnie einen Niederländer als Hauptmann, einen Italiener als Oberlieutenant, einen Irländer als Lieutenant, einen Wiener als Fähndrich zu erblicken. Beim Volk ist der Soldat, er sey Ungar oder Ausländer, verhaßt. Der Bauer fühlt sich bei seinem Anblick in seinen Freiheitsbegriffen gekränkt. Er reicht ihm daher im Quartiere nie mehr, als er muß, und Schlägereien und Raufereien mit dem Militär sind etwas ganz Gewöhnliches.

Auch die Tracht des Bürgers ist noch, in den Landstädten wenigstens, die ungarische Kleidung. Sein Pelz reicht bis an die Kniee, ist mit Borden und silbernen Knöpfen besetzt, und in der Rechten führt er ein stattlich Rohr mit silbernem Knopf. Er trägt einen gewaltigen Schnurrbart, spricht gewöhnlich nur ungarisch, kann sich jedoch auch in Latein verständlich machen. Er ist Ungar durch und durch. Hingegen in großen Städten: Ofen, Pesth, Presburg, ist der Bürgerstand, seit Jahrhunderten mit der deutschen Beamtenkaste verschmolzen, meistens verdeutscht.

Für die Geistesbildung des Volks ist noch viel zu thun übrig. Für Schulen ist zwar von der Regierung väterlich gesorgt, doch die Lehrer in den Dörfern sind meistens sehr unwissend, und ein großer Theil der Bauernkinder wächst auf, ohne Unterricht genossen zu haben. Die höhern Stände aber erfreuen sich einer Bildung, die ausgezeichnet, und mannichfaltiger und universeller ist, als in den meisten europäischen Ländern. Die Fähigkeit, sich im Lateinischen, Deutschen, Französischen, Englischen und Italienischen mit Eleganz auszudrücken, ist sehr gewöhnlich, und eine umfassende Kenntniß der Literatur dieser Sprachen nichts Seltenes. Die einheimische Literatur blüht seit einigen Jahrzehnten sehr auf, besonders im Zweige der Poesie.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/117&oldid=- (Version vom 27.8.2024)