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Seite:Meyers Universum 5. Band 1838.djvu/170

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Schon die Sorben bauten im 11. Jahrhundert mehre Gruben in der Gegend von Frauenstein und Freiberg, und der Meißner Burggraf Otto der Reiche zog Hunderte von Bergleuten vom Harze herbei, um die entdeckten reichen Silberadern zu bearbeiten. In einer ehedem ganz öden und menschenleeren Gegend entstanden nun Flecken und Städte, welche in dem Maaße zunahmen, als der reiche Bergsegen der Ansiedler immer mehre aus allen Theilen Deutschlands herbeilockte. Freiberg erhob sich vor allen übrigen, und zur Zeit seines höchsten Glanzes, zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts, wanderten jeden Morgen 9000 Bergknappen aus seinen Thoren nach den Zechen. Diese Zeit war die der Blüthe des sächsischen Bergbaus, der sich aus Freibergs Gegend weiter im Erzgebirge verbreitete. Die Entdeckung der reichen Silbergruben bei Schneeberg und Annaberg, und der großen Lager von Zinnerzen bei Altenberge fällt noch in’s 15. Jahrhundert. Es sollen einst über 60,000 Bergknappen im Meißner Lande die Schätze der Erde zu Tage gefördert haben! Viele Gruben wurden für Rechnung des Landesherrn betrieben; mehre noch bauten die reichen Kaufleute Venedigs, Mailands, Nürnbergs, Erfurts und Magdeburgs. Die Ausbeute war unermeßlich; denn noch hatte Amerika seine Schätze nicht über Europa ausgeschüttet, der Silberwerth war das sechsfache des jetzigen, der Handlohn unglaublich gering und das Gewinnen der Erze in den obern Tiefen mit nicht dem zehnten Theil der Kosten und Beschwerden verknüpft, welche man jetzt, auf minder reichen Gängen, die bis zu einer Tiefe von 1600 Fuß unter Tage abgebaut sind, überwinden muß. Das Freiberger Revier soll in einzelnen Jahren über 300,000 Mark Silber geschmolzen haben. Dabei war der damalige Bergbau meist Raubbau, d. h. man bearbeitete die Gruben so lange sie ohne viele Mühe reiche Ausbeute gaben, ließ sie dann liegen und öffnete neue. Erst am Ende des 16. Jahrhunderts, als schon die Erzanbrüche sich überall minderten, und Besorgnisse für die Dauer des Bergbaus die Nothwendigkeit einer bessern und geregeltern Einrichtung des Bergwesens einleuchtend machten, kamen Gesetze auf, welche die Erhaltung einer Industrie bezielten, aus der die Bevölkerung des Erzgebirges ihren fast ausschließlichen Erwerb zog und noch zieht. Aber die Gesetze waren nicht weise. Die gefesselte Spekulation zog sich aus einer Industrie zurück, in der sie vom Staate mißtrauisch überwacht wurde, und eine große Menge fremder Kapitale wanderten weg und suchten eine andere Anwendung. Ueber die Hälfte der erzgebirgischen Bergwerke wurden innerhalb eines halben Jahrhunderts von ihren Eignern verlassen und aufgegeben. Viele Bergknappen gingen nun nach Ungarn, oder nach Böhmen, und ganze Schaaren wurden für spanische Unternehmer geworben und nach Peru und Mexiko eingeschifft, die dortigen reichen Minen zu bearbeiten. Die alte Regel: „Bergbau leidet keinen Zwang,“ bewies ihr altes Recht.

Der dreißigjährige Krieg mit seinen Verwüstungsstürmen, seiner Hungersnoth und seinen Seuchen, mehrte den Verfall des sächsischen Bergbaus furchtbar. Es war eine Zeit, wo fast keine Grube mehr im Betrieb stand.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/170&oldid=- (Version vom 5.9.2024)