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Seite:Meyers Universum 6. Band 1839.djvu/133

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So ist es; keine Linie in diesem Bilde gehört der Phantasie seines Zeichners. Aber betrachte es mit mir noch einmal! – Bemerke, wie jene leichten, ziehenden Wolken im Hintergrunde der Abend mit glühendem Gold umsäumt, wie er Feuer auf die Wipfel der Bäume wirft und die runzlichen, finstern Gesichter der alten Felsen röthet, daß sie ihre Gestalt wohlgefällig im Gewässer beschauen. Wie majestätisch erscheint dies Knochenwerk der Erde, wie ernst das Gebirge, dieß ewig starre, in die Höhe strebende und bleibende, dessen Eingeweide elementarisches Feuer wärmt, welches das todte Gestein zum Leben und zur Thätigkeit ruft und seinen sonst kahlen Scheitel mit der Pracht des Waldes bekleidet. Und nun, neben dem starken Felsen, als Gegensatz, das bewegliche, fortfließende, in die Tiefe eilende, Verborgenheit suchende Element, das Wasser! – hier ein gewaltiger Strom; aber in seinem Wesen eins mit der kleinsten Quelle, die sich im Grase versteckt, und wie sie seine Gewässer zum Ocean hintragend. Hier, wie überall hat die Natur antagonistische Elemente zusammengepaart, und doch, wie einig erscheinen sie in diesem Bilde! wie mild ist ihr Zusammenstoßen, ihr Auseinanderstreben, ihre Liebe, ihr Haß! Hier, wie überall, können wir erkennen, wie aller Orten auf der Erde ein Alleben sich äußert, wie es der Natur zahllose Glieder durchströmt, und wie alle ihre Kräfte, trotz eines scheinbaren Kampfes der Gegensätze, in einander und durch einander ewigen Kreislaufes harmonisch sich bewegen: und wenn wir dieß thun, wird da nicht der Anblick dieses geheimnisvollen Wirkens uns mit heiligem Schauer vor der Weisheit des Schöpfers erfüllen, und indem es uns überwältigt, wird es nicht zugleich uns trösten und erheben? Sieh’, lieber Leser! so führt jede innige Betrachtung der Natur immer auf den höchsten und lautersten Begriff der Gottheit, und im Heiligthume der wahren Naturreligion findest du die Propyläen der christlichen.

Diesem Gedanken sollte mein Wortkleid gelten, nicht dem Bilde. Das Oertliche desselben ist für dich ohne Bedeutung, und selbst die Bemerkung, daß die Gegend bei Kellheim (oberhalb Regensburg) eine der imposantesten der Donauufer ist, kann, dem vortrefflichen Konterfei gegenüber, nur als überflüssige Wiederholung erscheinen.



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/133&oldid=- (Version vom 5.10.2024)