Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 6. Band 1839.djvu/174

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

und in Folge vielfacher Erörterungen über die Vortheile sowohl, als über die Möglichkeit der Ausführung, welche letztere die geschicktesten Ingenieurs des Landes zugaben, schossen Unternehmer ein Kapital von 60,000 Pfund Sterling zusammen, um einen Weg von Rotherhithe herüber nach dem östlichen Ende Londons zu graben. Es wurde ein Schacht von 11 Fuß Durchmesser etwa 40 Lachter abgeteuft; weitere 30 Lachter brachte man ihn im folgenden Jahre nieder und dann begann man einen Stollen unter dem Themsebette hin nach dem jenseitigen Ufer zu treiben. Aber nach 920 Fuß Erlangung desselben erklärte der Ingenieur: er sey außer Stande, das zudringende Wasser länger zu gewältigen; die Arbeit blieb stehen; Stollen und Schacht ersoffen. Mehre Jahre vergingen, bis man abermals den Plan eines Tunnels auf’s Tapet brachte. Es wurden damals weitläufige Arbeiten zur Untersuchung des Themsebettes vorgenommen, deren Resultate jedoch so abschreckender Natur waren, daß man von einer weitern Verfolgung des Planes abstand. Es fand sich, daß das Bett der Themse in der ganzen Hafenstrecke größtentheils aus beweglichem Sand und Gerölle von großer Mächtigkeit bestehe, so daß man, um vor dem Einbrechen des Stromes sicher zu seyn, den Tunnel in solcher Tiefe würde treiben müssen, daß die Vortheile fast alle verloren gehen möchten, welche man sich von diesem Communikalionsmittel versprochen. Viele Jahre ruhte nun die Idee; der Glaube an ihre Unausführbarkeit war vorherrschend geworden.

Das Genie übt sich gern an dem Scheinbarunmöglichen und erfaßt mit Vorliebe Gegenstände, an welchen große Kräfte erfolglos sich früher versucht haben. Brunel, einer der größten Köpfe Englands, hatte sich mit der Idee des Tunnels Jahre lang beschäftigt. 1823 trat er mit dem Plan hervor, einen doppelten Fahrweg von den größten Verhältnissen, so wie er für den Verkehr einer Weltstadt würdig und passend sey, ganz dicht unter dem Themsebette hin von Ufer zu Ufer zu führen, und erwies die Möglichkeit durch Schrift und Bild auf eine, selbst neid- und zweifelvollen Sachkennern einleuchtende Weise. Der Zeitpunkt war günstig. Gerade begann damals jener Associationsgeist sich zu entfalten, dem wir die große Zahl riesenhafter Werke des öffentlichen Nutzens verdanken, welche in England das Staunen aller Reisenden sind. – Ein Aktienverein adoptirte den Brunel’schen Plan und übertrug ihm die Ausführung.

Brunel wählte einen Punkt zwischen der London-Brücke und Greenwich als die schicklichste Lokalität aus. Die Entbehrung eines Communikationsmittels zwischen beiden Ufern wird dort von einer Bevölkerung von 300,000 Menschen gefühlt. Es ist die Themse an dieser Stelle etwa 1100 Fuß breit. Bis auf ein schmales Fahrwasser in der Mitte ist sie stets mit Schiffen bedeckt und macht einen Theil des Londoner Hafens aus.

Bei der Vorstellung von dem Themsetunnel denke man sich ja keinen unterirdischen Weg gewöhnlicher Art. Der Flächenraum des Querdurchschnitts dieser Aushöhlung beträgt über 800 Fuß; also mehr als der des Sitzungssaals des englischen Parlaments. Ein so ungeheuer großes Gewölbe quer und dicht unter dem Bette eines zum Tragen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/174&oldid=- (Version vom 7.10.2024)