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Seite:Meyers Universum 6. Band 1839.djvu/57

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Kaisers, dem Leopold darüber berichtete, wurde Richard später nach Trifels geschafft und dort unter Aufsicht eines kaiserlichen Commissarius so lange gefangen gehalten, bis das Lösegeld bezahlt sey, welches Leopold, nach Sitte und Begriff damaliger Zeit, zu fordern ein Recht hatte. Leopold verlangte 160,000 Mark Silber, eine freilich nach damaligem Geldwerth für England unerschwingliche Summe. Im Jahre 1194 kamen Geißeln aus England, um für den König einzutreten, bis diesem, in seine Staaten zurückgekehrt, möglich sey, das Lösegeld an Oesterreich zu bezahlen. Leopold ließ hierauf den Gefangenen ziehen; ob das Geld jemals bezahlt worden ist, läßt die Geschichte zweifelhaft.

Dieß ist das Thatsächliche von der durch die Dichter vieler Jahrhunderte mit dem glänzendsten Schmucke der Romantik, freilich auf Kosten der Wahrheit, umhüllten Geschichte der Gefangenschaft Richard’s.

Als Richard’s Kerker zeigt man auf dem Dürrenstein einen viereckigten Thurm, welcher eine natürliche Felsenmasse einschließt, in deren Mitte ein tiefer, schachtähnlicher Behälter ausgehöhlt ist. Ueber seine Bestimmung als Kerker ist wohl kein Zweifel. Daß aber dem Könige Richard dieses schreckliche Verließ als Gefängniß zugewiesen worden, ist nicht wahrscheinlich. –

In der ersten Hälfte des 13ten Jahrhunderts lagen alle Verhältnisse des Reichs in Verwirrung, und auf dem Boden der Verachtung der Gesetzgeber und der Gesetze blühete das Faustrecht. Der Adel, im Besitze der Gewalt, benutzte sie, um die minder Mächtigen und Wehrlosen zu berauben und zu plündern. Keine dieser Ritter vom Stegreife trieben es aber ärger, als jene Kuenringe, welche von ihren Felsennestern Aggstein und Dürrenstein, an der Spitze ihrer Reisigen, das Land durchzogen, Städte und Dörfer brandschatzten, die Reisenden beraubten, schweres Geleit und unerschwingliche Zölle von den Donauschiffern erpreßten und, übermüthig geworden durch den zusammen-gestohlenen Reichthum, sich am Ende selbst an den Gütern ihres nächsten Lehnsherrn vergriffen. Da öffnete Herzog Friedrich den Landesklagen das Ohr. Er, der letzte des Babenbergischen Stammes, zog mit Heeresmacht gegen die frechen Diebe, bezwang ihre Burgen, zerbrach deren Werke und verhing harte, körperliche Strafe über die Verbrecher. Doch ließ er die Güter der Familie, welche 1355 erlosch. Im 30jährigen Kriege wurden die Festungswerke wieder hergestellt, erweitert, und die Burg erhielt eine kaiserliche Besatzung. 1645 nahmen sie die Schweden ein, plünderten sie und steckten sie in Brand. Seitdem liegt die Veste in Trümmer.

Noch trotzen zwar einzelne Theile des mächtigen Baus der Vernichtung, aber vergebens; unaufhaltsam schreitet sie fort, und da auch von den gegenwärtigen, reichen Besitzern (der Stahremberg’schen Familie) nichts für die Erhaltung der herrlichen Ruine geschieht, so wird sie, nach wenigen Jahrzehnten, nichts mehr seyn, als ein Haufen unkenntlicher Trümmer.



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/57&oldid=- (Version vom 16.11.2024)