Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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Das war eine schöne Wallfahrt, gestern Abend[1]. Früh war ich von Gotha weggegangen, um bei guter Zeit in Schmalkalden zu seyn. Der Morgen war so hell, auf jedem Halme schillerte und schaukelte ein Thautröpfchen und wie ein Meer im Sonnenscheine prangte die Saat. Vor mir lag die lange Kette des Waldgebirgs, das ich zu übersteigen hatte; nur seine Gipfel glänzten im rosigen Lichte, alles Uebrige hüllte sich abenteuerlich noch in des Nebels mystisches Grau. Schwarzbraun und düster streckte der Bergkamm seine langen Thäler aus; es zog mich sehnsüchtig zu ihnen hin, und ich enteilte den lichten Fluren mit pochendem Herzen. Doch ehe ich noch den Georgenthaler Waldgrund erreicht hatte, blickte die höhere Sonne schon siegreich in sein Heiligthum. Ueberall flatterte freundliches Grün durch den Wald, und leichtfertig spielten die jungen Birken mit ihren Schatten. Die freien Sänger des Waldes musicirten in vollem Chor, und von dem schwellenden Laubgewölbe fielen Thautropfen – Thränen des Dankes der beglückten Natur.
An einem hellen Forellenbach und an mehren Schneidemühlen hin kam ich nach Tambach, einem freundlichen, wohlhabenden Flecken, voll kräftiger, betriebsamer Menschen. Gleich hinter diesem Orte geht das Steigen an, und ununterbrochen fort, bis auf den 2200 Fuß hoben Nacken des Gebirgs. Es war schwül geworden und ich war stark gegangen. Vor dem wirthlichen Gasthofe standen Bank und Tafel. Ich ruhte aus bei frischer Waldbutter, kräftigem Brode und einem Labetrunk aus dem Brunnen. Gestärkt wanderte ich dann durch herrlichen Hochwald bergan. Es war heiß. Die gefiederten Sänger schwiegen; kein Blatt bewegte sich; alles bebte vor Gluth. Ich suchte die dichtesten, schattigten Pfade auf und mochte so eine Viertelstunde fortgegangen seyn, als mich auf einmal ein ferner Donnerschlag erschreckte. Besorgt, von einem Gewitter überrascht zu werden, eilte ich der nahen Landstraße zu, wo ich eine freiere Umsicht erwarten durfte. Langsam wogte kohlschwarzes Wolkengebirg in der ganzen Breite des Horizonts über die Thüringer Ebene daher, von Nord-Ost nach Süd-West, in der Richtung meines Wegs. Als ich so stand, unentschlossen, ob ich weiter gehen, oder umkehren sollte, rasselten die Wagen einiger zurückeilenden Holzbauern an mir vorüber. Kreischend flogen die größern Vögel des Waldes aus der Ebene herauf, ihre Schlupfwinkel zu suchen, und die kleinern flatterten ängstlich umher, und verkrochen sich unter dem dichtesten Laube. Alles
- ↑ Aus einem Tagebuche.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/120&oldid=- (Version vom 29.10.2024)