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Seite:Meyers Universum 7. Band 1840.djvu/153

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Als blühende Römerstadt – als Augusta Vindelicorum – zeigt sich’s in der Geschichte zuerst und fünf Jahrhunderte früher, als im mittlern Deutschland, glänzte hier das Kreuz auf christlichen Tempeln. Schon im 2ten Jahrhunderte ward in Augsburg die erste christliche Gemeinde gegründet. Als Rom sank, ging auch seine Augusta unter; in den Verheerungsstürmen der eindringenden Barbaren erlag diese als erste Beute. Lange blieb sie wüst; unter Theodorich erst gelangte Augsburg als ostgothische Stadt wieder zu einiger Bedeutung, und um 600 macht sie sich als Bischofssitz bemerklich. Karl der Große befestigte sie, und im 8. und 10. Jahrhundert rauschen die blutigen Wogen der Entscheidungsschlachten Karls gegen die Baiern unter Thassilo und der Deutschen gegen die neuen Weltstürmer, die Ungarn, an ihren Mauern hin über das Lechfeld. Später, bei der Zerrüttung des Reichs, als Kaiser und Gegenkaiser einander bekriegten, und Anarchie die Bande lockerte, entwickelte sich, obwohl unter häufig wiederkehrenden, schweren Bedrängnissen, die Kraft des Gemeinwesens; die Macht des Reichsvogts und die Bischofsgewalt traten allmählig in den Schatten vor der Macht des Magistrats und der patrizischen Geschlechter, aus deren Mitte sich jener erneuerte. Hand in Hand damit ging der Zuwachs an Handel und Reichthum in Augsburg, welcher aus der im 12. Jahrhundert begonnenen engen Verbindung mit Venedig, Genua und den freien Städten der Lombardei sich entwickelte. Als sich im Jahre 1368 die Macht des Magistrats brach und er sie mit den Zünften theilen mußte, stand Augsburg in höchster Blüthe. In allen Ländern galt sein Ansehen und Handelsreichthum, und die Augsburger Handelsherren mochten es stolz mit Fürsten aufnehmen, die öfters Gesandte schickten. Daneben standen Kunst und Gelehrsamkeit in verdienter Anerkennung. Errungenes Freiheitsgefühl schlug in jedes Bürgers Brust, und als (1478) patrizische Geschlechter den Versuch wagten, die Rechte der Bürger zu schmälern, büßte ihr Haupt, Bürgermeister Schwarz, die Schuld am Galgen. Nun folgte eine Zeit, da für den überschwänglichen Reichthum die Gefäße zu eng waren und Prachtsucht und Ueppigkeit alle Schranken überstiegen. Die Fugger’s schwangen sich vom Webergesellen an durch Genie und Glück in neun Jahrzehnten zu den reichsten Kaufherrn in Augsburg, ja vielleicht in der Welt, empor; sie wurden die Rothschild’s ihrer Zeit, die den Kaisern Max und Karl V. oft die erschöpften Schatzkammern wieder füllten. Ganze Handelsflotten segelten unter Fugger’scher Flagge nach Indien und Amerika, und die Fugger’s prägten ihr Gold und Silber in eigenen Münzstätten aus. Die Kaiser machten sie zu Reichsgrafen, und ihr Geschlecht blühet noch in mehren Zweigen. Damals entstand auch die Fuggerei, ein geschlossener Stadttheil, mit Thoren und eigner Gerichtsbarkeit. – So überschwängliche Blüthe konnte nicht lange dauern. Augsburg hatte mit Venedig einerlei Schicksal. Der Handel, der sich nach Auffinden des neuen Wegs nach Indien und Amerika’s Entdeckung, der alten Bahn entfremdete, suchte andere Wohnorte auf. Augsburg’s Verkehr kleinerte sich von Jahr zu Jahr; zugleich sein Wohlstand. Viele Kaufleute zogen weg; nach den Niederlanden, nach Hamburg. Die Reformation und ihre Folgen, Religionskriege, halfen dazu, den Verfall der Stadt zu beschleunigen.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/153&oldid=- (Version vom 8.11.2024)