Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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hatten die eiserne Krone der Weltherrschaft, die er geschmiedet, da mußte Erfurt noch dazu dienen, seine flüchtigen Schaaren vor Vernichtung zu schützen.
Deutschland war längst befreiet, längst hatten seine Söhne auf dem Völkerzuge zur neuen Roma den Rhein überschritten, als noch immer der fremde Raubadler auf Erfurts Höhen horstete. Erst im Frühjahr 1814 wurden die beiden Erfurter Citadellen, Petersberg und Cyriaxburg, an das preußische Belagerungsheer übergeben, nachdem die Franzosen die Stadt selbst im Spätherbst des vorhergehenden Jahres, nach einem Bombardement, das 300 Häuser zertrümmerte, geräumt hatten. Seitdem gehört Erfurt, als Hauptort eines Regierungsbezirks, zum preußischen Staate, und lebt wieder einer besseren Zeit zu. Die Volksmenge hat sich seit 1813 fast verdoppelt; einschließlich der 3000 Mann starken Garnison beträgt sie gegenwärtig 26,000.
Die Sehenswürdigkeiten Erfurts, – wenn wir die Festungswerke der Stadt selbst, ihre beiden Citadellen und die Verschönerungen am Friedrich-Wilhelmsplatze, mit der prachtvollen Fontaine, dem Obelisk und dem Karl Friedrichs-Denkmal ausnehmen – gehören sämmtlich einer längst verschwundenen Periode an. So viel auch die zerstörende Hand der Zeit zertrümmert hat, so viel auch Vandalismus, Krieg und Vernachläßigung vernichteten: so ist doch für den Freund der Kunst und des Alterthums immer noch eine größere Ausbeute übrig, als auf so wenig Raum zu beschreiben ist. Vor allem muß der Dom uns fesseln, der, erhaben auf einem Felsen stehend, mit seinem hohen, stumpfen Thurmkegel als die hervortretendste Figur in der Ansicht Erfurts schon von fern den Blick auf sich zog. Inzwischen ist der erste Eindruck bei näherer Beschauung dieses uralten Denkmals der deutschen Baukunst kein erfreulicher. Mit Wehmuth vielmehr bemerkt man an so vielen Zeichen die dem Prachtbau durch Elemente und Krieg, durch Blitz und Kanonenkugeln gewordene Mißhandlung. Der Thurm ist seines Schmucks entkleidet, die Spitze, die Seitenthürmchen, die Erker, Nischen und der tausendfache Zierrath von Arabesken etc. sind abgeschlagen bis auf einzelne Trümmer, und nichts blieb übrig, als nacktes Mauerwerk. Es gehört schon eine kräftige Phantasie dazu, sich den herrlichen Bau in allen seinen Theilen zur vollen Anschauung vor die Seele zu zaubern; und nicht eher sollte man dessen Inneres betreten. Dann erst wird unser Auge das Novantike und Restaurirte in vieler Art übersehen und der Betrachter im Stande seyn, den großen, ästhetischen Eindruck in vollem Maße zu genießen, der ihn erwartet, wenn er aus dem Schiff in das bis auf wenige Einzelnheiten noch in seiner alterthümlichen Herrlichkeit vollkommen erhaltene Chor, durch dessen Fenster ihm die milde Farbengluth der nobelsten Schmelzmalerei anstrahlt, getreten ist. Wohl ihm, wenn ihn hier der Hauch der Begeisterung nicht unangeweht läßt, aus welcher die höhere Erkenntniß reift. Vor seinem geistigen Auge fallen dann die irdischen Formen, womit Zeit und Meinung das Wesen der Gottheit verschieden bekleiden; er liest an den Tempelhallen, in die Nacht der Berge hinein gebrochen; an den hohen Säulenhäusern zu ihren Füßen; an den Pylonen, deren Hieroglyphen von den Wundern der Kinder-Zeiten stammeln; an Luxors Obelisken und in den Säulenstraßen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/159&oldid=- (Version vom 9.11.2024)