Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
|
Den Vorwand zum Kampfe gab der traktatwidrige Angriff Carthago’s auf Sagunt, der Bündnerin Roms, welche Hannibal nach heldenmüthiger Vertheidigung vernichtete. Rom, damals auf seiner Ostgrenze beschäftigt, erklärte sogleich der Verwegenen den Krieg. Da ergriff Hannibal den wahrhaft großen Gedanken, seine Waffen in das Herz des Römerreichs zu tragen und den übergewaltigen Todfeind zu vernichten, ehe dieser seine Kräfte zu sammeln vermöchte. Mit 59,000 Mann überstieg er die Pyrenäen, durchstürmte, wie ein Orkan Alles vor sich niederwerfend, das südliche Gallien und mitten im Winter, unter fortwährenden Kämpfen und auf unbekannten, ungebahnten Pfaden, führte er sein Heer über die großen penninischen Alpen, deren Schrecken vor ihm noch selten ein Wanderer, niemals ein Heer getrotzt hatte; und nicht mit leichtem Fußvolk allein, auch mit schwerbewaffneten zu Roß und mit Elephanten. 15 Tage dauerte der Uebergang, der die Hälfte des Heeres kostete. Als Hannibal in der Ebene Italiens anlangte, hatte er nur 20,000 Mann Fußvolk und 6000 Reiter übrig. Mit diesem Häuflein zog er gen Rom, das 150,000 waffentragende Bürger zählte, wagte er die Eroberung des größten aller Reiche, das 600,000 Streiter rüstete. In ungeheuern Schlachten mußte Rom’s beste Heereskraft verbluten; bei Cannä blieben 45,000 römische Bürger, die Blüthe der Ritterschaft, die Senatoren, die Konsuln. Die unterjochten Völker fielen von Rom ab, die Hauptstadt zitterte, ihre Vernichtung schien gewiß. Da kam ihr unverhofft Hülfe aus Carthago selbst; denn voll kleinlicher Eifersucht auf die Größe Hannibal’s verweigerte der Carthaginensische Senat in dem entscheidenden Momente, wo es galt, den Koloß Rom mit einem letzten Schlage zu zermalmen, die nöthigen Verstärkungen, und Hannibal, durch so viele Siege erschöpft, sah sich genöthigt, statt dem bedrängten Rom das Schicksal Sagunt’s zu bereiten, im südlichen Italien Winterquartiere zu beziehen. Damit wendete sich das Geschick Rom’s, Carthago’s, der Welt. Hannibal und sein edler Bruder und Mitfeldherr, Hasdrubal, fanden in Rom’s neuen Heerführern Gegner, ihrer werth, und während in der Metaurischen Vernichtungsschlacht bei Sena ganz Oberitalien verloren ging, trugen die Scipionen die römischen Siegesadler nach Afrika und bis unter die Mauern von Carthago. Dieses rief nun Hannibal aus Italien zurück, welcher, selbst noch unbesiegt, mit seinem kleinen Heere im verschanzten Lager in einem Winkel Apulien’s stand, wie ein grimmiger Löwe nur auf den günstigen Augenblick lauernd, wo er Rom von Neuem angreifen könnte. Traurig gehorcht der Held dem Hülferuf des Vaterlandes und verläßt seufzend den sechzehn Jahre lang kühn und beharrlich behaupteten Schauplatz unsterblicher Thaten. Bei seiner Ankunft in Afrika sammeln sich um ihn die Trümmer der in so vielen Niederlagen zerstreuten carthagischen Truppen. Er vereint sie zu einem Heere und lagert es bei Zama.
Aber Hannibal berechnete die Chancen eines letzten Kampfes mit der letzten Kraft Carthago’s, und sah ein, wie wenig ihm blieben zum Siege. Aus einer Niederlage mußte die Vernichtung seines Vaterlandes unvermeidlich folgen, und großherzig sich selbst und den geschworenen ewigen Haß gegen Rom verleugnend, bot er Rom
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/249&oldid=- (Version vom 20.11.2024)