Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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Fürstbischöfen so geschmackswidrig vorzukommen, daß er eingelegt wurde bis auf die heilige Krypta. Auf seinem Fundamente und aus den Materialien des alten erhob sich der neue Dom. Es ist eines der schönsten Bauwerke aus jener verdorbenen Zeit, wo der italienische Styl mit seiner Affengrazie und seinem Schnörkelreichthum der Baukunst allein Muster geben durfte. Dieser Dom, aus Werkstücken in einem lateinischen Kreuze erbaut, mißt 300 Fuß Lange, und die beiden Hauptthürme haben eine Höhe von 220 Fuß. Sein Inneres, obschon mit Pilastern und Ornamenten überladen, imponirt durch Größe, und man bewundert in demselben die vortreffliche Vertheilung des Lichts.
Für den Mann, welchen höhere Interessen, als die des blos materiellen Wohlseyns begeistern, und der das Glück der Völker und Staaten nicht nach ihrer Wohlbeleibtheit mißt; für den Freund des Vaterlandes auch, der an gerechten Erwartungen die Wirklichkeit als Maßstab anlegt, ist die Zeit nicht so heiter, daß er in das Hosiannah einstimmen müsse, welches von so mancher Seite her sich fort und fort hören läßt. Alles Staunens über die Wunder und Herrlichkeiten der Gegenwart zum Trotz, sieht er sie doch schwer erkrankt. Die Ausartung der Sitten, ausgegangen von oben, hat die Gesellschaft durchdrungen bis zu den allertiefsten Schichten, und Immoralität, in trüber Mischung mit roher Selbstsucht und verbrecherischem Leichtsinn, bring die furchtbare Masse nachgerade in eine faule Gährung. Wenn man Recepte verschreibt, ist Krankseyn kein Geheimniß; zu keiner frühern Zeit waren aber die Aerzte so geschäftig als jetzt. –
Inmitten dieser düstern Zustände erhebt die Industrie in blendendem Glanze ihr Haupt. Wie ein Cherub schreitet sie einher, und vor ihrem flammenden Schwerdte neigt der alte ehrwürdige Bau der bürgerlichen Gewerbe sich in den Staub. Krachend stürzt er ein, und wehe den Handwerkern, die sich nicht zeitig flüchten und einziehen in die neuen Palläste, welche Wissenschaft, mit Geldkraft im Bunde, zu ihrer Aufnahme freigebig gebaut haben. Ansprüche auf Unabhängigkeit kann der Handwerker, der Groß-Industrie gegenüber, freilich nicht geltend machen und der früher selbstständige Gewerbsmann sinkt zum Miethmann, zum Proletair herab. Aber die Umwandlung ist nicht mehr zu vermeiden und geht rasch vor sich. Bald wird es nur noch reiche Gewerbherren und arme Arbeiter geben, und der freie Handwerkerstand hört auf.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/74&oldid=- (Version vom 27.10.2024)