Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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den Eisenbahnen, den Pulsadern des neuen Lebens, bauen ganze Bevölkerungen sich jetzt ihre Wohnungen hin, und gleichsam als wäre es nicht genug, daß der Raum in der Zeit fast vernichtet ist, strecken die großen Städte ungeheure Arme aus, sich auch körperlich zu umfangen. In wenigen Jahrzehnten wird ganz England durch Eisenbahnen und Dampfschifffahrt nur noch einer Stadt in einem Parke gleichen. In diesem Parke werden die Flüsse, die Canäle, die Eisenbahnen mit ihren sprühenden, fliegenden Feuerrossen, die Wälder und Felder, die prachtvollen Gärten und die tausende von Schlössern, die stadtgleichen Dörfer und jene Landstädte, die den Metropolen des Continents ähnlich sind, die Staffage seyn, und das heutige London, das schon drei Grafschaften, ganz oder theilweise, mit seinem Häusermeer überdeckt, dessen Bevölkerung (über 2 Millionen) die ganz Portugals übersteigt, wird der Mittelpunkt werden eines Conglomerats von vielen hundert Städten, dem es seinen Namen verleiht.
Es ist keine Kunst, ein Prophet zu seyn, wenn alle die Zukunft gestaltenden Bedingungen in der Gegenwart klar vor Jedermanns Augen liegen. Ganz England ist jetzt beschäftigt, sich mit einem Netz von Eisenbahnen zu überstricken, dessen Fäden mit London sich verknüpfen, wie die Adern im thierischen Körper mit dem Herzen. Erst ein Paar der Hauptlinien sind vollendet und strecken sich 200–250 englische Meilen weit in’s Reich; aber viertehalb hunderttausend Arbeiter, nebst einer nicht zu berechnenden Masse thierischer, wie lebloser, mechanischer Kräfte bauen gegenwärtig an den übrigen, und schon im kommenden Jahre wird die directe Eisenbahnverbindung Londons mit etwa 40 der größten Städte Englands in Nord und Süd und West und Ost dem Verkehr geöffnet seyn. –
Die Bahnhöfe der verschiedenen von London nach allen Richtungen aus zweigenden Routen befinden sich an den äußersten Enden der Stadt; der nach dem Süden an der Vauxhallbrücke, der nach dem Norden in Eustonsquare, der nach dem Westen in Paddington, jener nach dem Osten bei Holyway, der nach Greenwich an der Londonbrücke. Da schon täglich über 240,000 Personen von den verschiedenen Bahnhöfen befördert werden, oder daselbst ankommen, so kann man leicht berechnen, welche Vermehrung der Communikationsmittel innerhalb der Stadt dieses Ab- und Zuwogen so großer Menschenmassen aus allen Theilen der ungeheuern Metropole fordert. 3000 Omnibusse und eine Menge kleiner Dampfschiffe sind, jene in London, letztere auf der Themse, an verschiedenen Punkten stationirt, blos um den Dienst der Bahnhöfe zu besorgen. Die Concurrenz hat die Fahrpreise unglaublich herabgedrückt, was nöthig war, um den, bei den frühern unzulänglichen Einrichtungen und theuern Fiackerfahrtaxen unvermeidlichen, Uebelstand zu entfernen, daß dem Passagier die Reise in London, von seiner Wohnung nämlich bis zum Bahnhofe, oft mehr kostete, als eine Tour, 100 Meilen weit in’s Land. So niedrig auch für die englischen Geldverhältnisse die Eisenbahnpreise jetzt schon sind, so werden sie doch von Jahr zu Jahr wohlfeiler, was bei der immer steigenden Concurrenz der Unternehmungen nicht anders seyn kann. Wo die Grenze der Verwohlfeilerung seyn wird, läßt sich nicht wohl bestimmen. Bisher hat man die Erfahrung gemacht, daß in dem Verhältnisse,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/28&oldid=- (Version vom 30.11.2024)