Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 8. Band 1841.djvu/51

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
CCCXXXVIII. Die Paulskirche in London.




Braucht Gott ein Haus von Menschen Hand? Sterblicher! blicke hinauf in’s Himmelsblau, blicke hinab, wo ungesehene Welten ziehen, denke die Unermeßlichkeit des Alls, wo Milchstraßen wie Regenbogen entstehen und vergehen vor dem Auge der Ewigkeit, und frage dich, ob der Herr und Schöpfer dieses Alls dein steinern Haus braucht? – Braucht die Anbetung ein solches? Sterblicher! thue den hohen Tempel deines Innersten auf, den Gott dir selbst in die Seele gebaut hat, trete da vor den Altar der ewigen Liebe mit der Flammen-Aufschrift: „Zage nicht, du bist unsterblich!“ und der Frage wirst du lächeln.

Aber nicht Jeder faßt es, daß jedes Menschenherz ein Tempel sey und in jedem Herzen Gott wohne, und so richtet der Verehrungsdrang des Menschengeschlechts dem Herrn vergängliche Gebäude auf. So hat es gethan von Anfang an, und so wird es thun in Zeiten, die fern sind.


Die Paulskirche in London, der größte aller Tempel der protestantischen Christenheit, der an Größe nur Rom’s Sankt Peter nachsteht, nimmt die Stelle ein, wo in der Römerzeit ein Dianentempel gestanden hat. Cubert, ein König von Essex, war es, der im 7. Jahrhundert hier die erste Cathedrale baute. Brand zerstörte sie um das Jahr 900; sie ward abermals durch Feuer verheert um 1070 und wieder aufgebaut. Nochmals vernichteten sie die Flammen und sie erstand zum drittenmale im 13. Jahrhundert, herrlicher als zuvor, geschmückt mit einem 520 Fuß hohen Thurm, dem höchsten der Welt. Und zum viertenmale verging sie im großen Brande von 1665, worauf die heutige Paulskirche an ihre Stelle trat. Diese ist ein Werk Wren’s, des größten Architekten, den England je gehabt hat.

Am 1. Juni 1675 wurde der erste Grundstein gelegt, und 1710 setzte Wren, der Sohn, den letzten Stein auf den Gipfel der Laterne; 35 Jahre hatten also hingereicht, diesen Riesenbau zu vollenden, welcher über London’s unübersehliche Häuserwelt sich hebt, wie ein Adler über niedriges Gewürm, oder die

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/51&oldid=- (Version vom 1.12.2024)