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Seite:Meyers Universum 8. Band 1841.djvu/73

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Flotten der Welt aufnehmen könnte, durch seinen Reichthum und seinen unermeßlichen Handel, wird Havannah zum wichtigsten Punkte nicht nur Westindiens, sondern selbst, in gewisser Beziehung, für den ganzen Erdtheil. Aus einer vollkommenen Handelsfreiheit und einer schon seit einem Menschenalter bestehenden, klugen Verwaltung, hat sich hier ein unglaubliches Gedeihen und Fortschreiten entwickelt, und seine Segnungen über alle Theile der Insel ausgestrahlt. So ist es gekommen, daß, in seiner jetzigen Blüthe, Cuba allein dem Mutterlande reichlich ersetzt, was es durch den Verlust seiner unermeßlichen Besitzungen am festen Lande Amerika’s einbüßte. In der That hat die Havannah jetzt eine größere Ein- und Ausfuhr, als die sämmtlichen spanischen Colonien vor 40 Jahren. Man schätzt den Verkehr auf mehr als 40 Millionen Piaster. Die Zuckerausfuhr Cuba’s, welche vor 80 Jahren 13,000 Kisten betrug, ist jetzt 400,000 Kisten oder 160 Millionen Pfund; die des Kaffees stieg auf 70 Millionen, und zwei Drittel dieses enormen Geschäfts ruht in Havannah’s Händen allein, das über ein Drittel des gesammten Zuckers und Kaffees, den Europa verbraucht, verschifft. Die Zahl der jährlich hier landenden, größern Fahrzeuge übersteigt oft 2500.

Erklärlich ist darum auch die außerordentlich große Menge von Fremden aus Europa, den Vereinigten Staaten und Mexiko, die man zu jeder Jahreszeit hier antrifft. Neben solchen, welche Handelszwecke hierher führen, ist die Havannah das Stelldichein aller Abenteuerer der neuen Welt, die ihre Chevaliers d’Industrie so gut hat, wie die alte, nur mit dem Unterschiede, daß sie in der That Häute von allen Farben an sich tragen. Der größte Theil dieser wandernden Bevölkerung, der wohl an die 10,000 steigt, äfft hier um die Wette, so weit es das Klima erlaubt, die Sitten und Gebräuche der großen Städte Europa’s nach. Die Sitten sind lax und Sardis war in der alten Welt nicht verrufener, als es in der neuen Welt die Havannah ist; doch, wenn auch die Regel gelten mag, so hat sie doch der Ausnahmen auch viele. In der That treten hier alle Abstufungen der Sitten, von der äußersten Rohheit bis zur höchsten Politur und Geschliffenheit, grell hervor, und wenn man auf jedem Schritte Dreistigkeit, Bosheit und sittliche Verdorbenheit begegnet, so wird der Beobachter auch eine Masse von Biederkeit und ehrenfestem Wesen nicht vermissen. Der Intrike, Verstellung und Falschheit gegenüber zeigt sich auch Treuherzigkeit und Uneigennützigkeit. Im Ganzen ist die Havannah besser, als ihr Ruf. Die weibliche Welt, namentlich in den höhern Kreisen, vereinigt mit großen körperlichen Reizen (nirgends trifft man zierlichere Formen an) eine Seele voll Anmuth, Zartheit und tiefes Gemüth. Die Damen sind leidenschaftliche Verehrerinnen der Musik, und Konzerte sind ihre Erholung. Gastfreundliche Aufnahme in Familienkreisen ist jedem gebildeten und gut empfohlenen Fremden hier gewiß.

Das Klima in der Havannah ist nur in der heißen Jahreszeit ungesund; dann aber auch unerträglich und für den Neuankömmling zumal gefährlich. Die Gerüche und Miasmen sind dann so, als wäre die ganze Stadt

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/73&oldid=- (Version vom 1.12.2024)