Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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kaum ein Punkt ist. An der Themse hat der Geist der Neuzeit seine gefeierten Sitze: jener kunstreiche Geist, der das wunderbare Maschinenwesen geschaffen, durch welches der Mensch der Gegenwart die Naturkräfte bändigt und sie zwingt, ihm Helotendienste zu leisten; dort ist der Ort, wo die wilden Elementargeister zuerst Zaum und Gebiß empfingen und ihnen gelehrt ward, für den Menschen willig in’s Rad zu gehen; wo des Wassers glühender Schwaden, in engen Verschluß gebracht, zuerst gezwungen wurde, unwillig, aber fügsam, wie Herkules am Spinnrocken, dünne Fäden zu ziehen, der Rosse schwere Arbeit zu verrichten und an die Räder des Wagens und an den Kiel des Schiffes die Schnelligkeit des Fluges zu knüpfen; von der Themse aus schleudert England die neue Bildung auf seines Dreizacks Spitzen in alle Völker und in alle Zonen. Immerfort gebend und empfangend, aufnehmend und wieder ausstoßend, ist gleichsam die Themse eine Hauptarterie für den Kreislauf des Erdenlebens, und, obschon verhältnismäßig so klein, der Strom, mit dem sich kein anderer der Welt an Wichtigkeit messen darf.
Heutzutage, seit der Einführung der Dampfschifffahrt, ist die Themse der gewöhnlichste Weg für den Reisenden vom Continente nach London, und nur auf diesem Wege kann er zu einem recht anschaulichen Begriff von der Unermeßlichkeit des neuen Babylons, von seinem Reichthum und Verkehr gelangen. Von der Mündung bis zur Weltstadt herauf sind es vierzehn deutsche Meilen. Auf dieser Strecke entgeht dem Reisenden nicht jene angenehme Steigerung, welche dem Anschauen höhern Reiz verleiht, während Derjenige, der zu Lande, zumal auf der Eisenbahn herkommt, für seine Gefühle keinen Uebergang findet; denn der Eindruck Londons überfällt ihn gleichsam; er hat nicht Zeit, ihn zu fassen, und Ueberraschung und Verwirrung mischen bald dem höchsten Lustgefühl das Wehe der Abspannung bei. Nicht so bei der Themse-Fahrt. Allmählig und mit Ruhe wird man da auf den Hauptanblick vorbereitet, welchem das Herz voller Erwartung entgegen schlägt.
Zuerst gewahrt man, an der Einfahrt aus der Nordsee, eine niedrige flache Landschaft, die sich kaum von der Wasserfläche abhebt. Sie ist eintönig und wird durch nichts belebt, als durch Schwärme von Seevögeln und die eilig und geschäftig vorüberziehenden Segel der Fahrzeuge. Bald darauf erscheint mitten in der fast 2 engl. Weilen breiten Strommündung ein gewaltiger Schiffrumpf mit hohem Bord; er ist segellos: aber auf thurmhohem Maste trägt er eine riesengroße Laterne – das Leuchtfeuer von Norelight, um die Schiffe vor Untiefen und Sandbänken zu warnen. Es gehört helles Wetter und ein gutes Gesicht dazu, um die beiden Ufer zu erkennen, so weit ist hier der Strommund. Southend hieß das äußerste Land an der Essexseite und auf demselben ragt wieder ein Leuchtthurm. Etwas weiter hinauf wird Sea-Reach erreicht, und obgleich noch weit von London, ist man doch am Bereiche der Jurisdiktion der Hafenpolizei der Hauptstadt, deren Grenze ein Stein am Ufer
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/120&oldid=- (Version vom 1.1.2025)