Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
|
Ich habe manchmal wunderliche Gedanken. Als mir vor 25 Jahren im Tower zu London der Haufen Kronen und Zepter gezeigt wurde, so kamen sie mir vor wie Dornenkronen und Prügelstöcke für die Völker daran, und ein andermal sah ich gar einen Herrscherstuhl für ein Passionsinstrument, und den goldnen Thronsaal für eine Folterkammer an, wo Einer, wenn er nur wolle, seine Quallust nach Herzenslust an dem gebundenen und geschundenen Dinge üben könne, das gratia dei seinen Händen überantwortet ist. So geht es mir auch jetzt wieder. Mir kömmt dieses Louvre wie ein Leichenhaus vor, wie ein ungeheures Beinhaus gemordeten Volksglücks und erdrosselter Menschenfreuden, und alle die Säulen daran wie Folterleitern, auf welchen die Generationen seit Dagobert’s Zeiten hinangestiegen! – Den Teufel bete in Lichtgestalt unter deinem Dache an, wer da will: ich kann es nicht! Herrliches, – mir schreckliches, scheußliches Louvre! Welche Weltgeschichte ist gemacht worden! Wie viel Todtenstaubwolken wehten aus den dürren Schlachtfeldern zu dir herüber, wie viel Thränen und Blut flossen dem Walten in deinen Räumen, welche Flucheslast ruht auf den Meisten, die da gewohnt und geherrscht haben! Ludovico magno steht über deiner Pforte; ein Engel schreibt sie: der Würgengel des Elsaß und Niederlands. Ja, groß waret Ihr, du, Ludwig, und deines Gleichen, im Jammermachen auf Erden, groß als Heuchler, groß in Sittenlosigkeit, groß als Volksverderber, groß als Rabenväter eurer Länder: als glückverzehrende Drachen groß, nicht als glücklich machende Regenten! – Doch die Zeit hat auch dem Louvre den Stachel genommen und in die Todtenglocke tönt schon Freudengeläute hörbar ein. Das einstige Walten in diesem Hause ist ohne Auferstehung, das neue darinnen ist friedlich und wohlthätig, und ihm gehört die Zukunft.
Die Baugeschichte des Louvre umfaßt einen Zeitraum von zwölf Jahrhunderten. König Dagobert bewohnte den ältesten Bau, die eigentliche Burg, oder den Thurm. Er war dem white Tower in London ähnlich, stand in der Mitte des Hofes, wurde aber im Jahre 1529 abgetragen. Ludwig der Dicke ließ das Schloß erweitern und mit Bollwerken umgeben, und alle nachfolgende Könige besserten daran und verschönerten es. Eine gänzliche Umgestaltung erlitt das Gebäude unter Franz I. Dieser kunstliebende
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/221&oldid=- (Version vom 5.1.2025)